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Aktuell

Von – 1. September 2003

Dem Geheimnis Gottes auf der Spur

„Spiritualität“ ist ein Modewort – und doch nicht leicht zu definieren. Viele Menschen sind auf der Suche nach religiösen Formen, die alle Sinne ansprechen und sie dem „Geheimnis des Glaubens“ näher bringen: in Klöstern, durch Meditation, auf Pilgerwegen, oder bei Schamanen und Gurus. Spirituelle Erfahrungen verspricht aber auch der ganz normale Sonntagsgottesdienst. Nicht immer, aber immer öfter…

Lisa Neuhaus ist Pfarrerin in der St. Petersgemeinde im Nordend. Foto: Oeser

Dem Wortsinn nach bedeutet „Spiritualität“ eine vom Geist (und nicht von Materie, Geld, Moral) bestimmte Haltung. Christliche Spiritualität bezieht sich entsprechend auf den Geist Gottes, der in den Sprachen der Bibel „Wind“ heißt und mild oder heftig weht, wo er will und Menschen tröstlich berührt. Wie wird ein so frommes Wort ein Modebegriff? Vielleicht aus Überdruss und Sehnsucht. Aus Überdruss an leeren kraftlosen Worten und moralischen Appellen. Aus Sehnsucht nach Worten und Gesten, die mit dem Geheimnis Gottes in Verbindung bringen, nach Erfahrungen mit Herz und Verstand, Gefühlen und Sinnen.

Was können Menschen auf ihrer spirituellen Suche in der Kirche finden? In der Epiphaniaskirche im Nordend suchen wir, wie viele andere Gemeinden auch, nach den Schätzen christlicher Spiritualität, auch im ganz normalen Gottesdienst. Dieser Schatz erschließt sich manchmal durch ganz einfache Gesten. Bei einem Gottesdiest zum Thema Beten zum Beispiel wird ein Bild von Abraham meditiert, der mit offenen Händen unter einem Sternenhimmel steht. Wir probieren aus, wie es ist, wenn wir eine Weile mit leeren Händen still da stehen. Manchmal werden die Fürbitten, diese kraftvolle Verbindung mit Menschen in Not, an alle verteilt. Wer will, liest laut eine Bitte vor – und so ist das Beten eine Sache von allen geworden, nicht die Arbeit von Profis. In manchen Gottesdiensten bilden wir zum Beten und Segnen einen großen Kreis durch die ganze Kirche, und es ist jedes Mal erhebend zu sehen, wie viele Menschen da sind und wie verschieden sie sind.

Im Mittelpunkt des evangelischen Gottesdienstes steht traditionell die Predigt, also das Wort, das vernünftige Argument. Aber auch hier wächst das Bedürfnis nach „Spiritualität“, nach ganzheitlicher Geist- und Gotteserfahrung. Gemeinden reagieren mit neuen Formen, zum Beispiel Taizé-Liturgien wie hier in der Weißfrauenkirche. Foto: Oeser

Oder es geht um den Segen, auf den Menschen sich gerade bei Einschnitten im Leben als Kraftquelle angewiesen fühlen. Segen hat eigentlich weniger mit Worten zu tun als mit dem körperlichen Weitergeben von Kräften und Energien. So kommt, wer will, nach vorn und lässt sich die Hände auflegen. Im Weihnachtsgottesdienst rede ich vom „Kindersegen“ und danach heben die Kinder die Arme und segnen ihre Eltern und die Gemeinde. Dann fließen manchmal sogar Tränen, und es scheint, dass der Segen auf ganz besondere Weise ankommt.

Da die Kantorin unserer Gemeinde eine wunderbare Stimme hat, spielt das Singen eine wichtige Rolle. Nicht nur Lieder, sondern zum Beispiel ein Bibeltext wird da gesungen. Einmal geht die Kantorin dabei singend um die Menschen in den Kirchenbänken herum, und hinterher sagt einer: das war wie ein magischer Kreis, etwas unheimlich, aber zusammenschließend, bergend. Gemeinsames Singen ist sowieso der größte spirituelle Schatz und prägt seit der Reformation evangelische Spiritualität: Der Atem fließt, ich werde belebt wie vom Atem Gottes, ich erlebe mich anderen verbunden, ohne sie zu berühren oder mit ihnen zu sprechen.

Um den Geist einer biblischen Geschichte zu erschließen, nutze ich manchmal ein Element aus der Methode des Bibliodramas. Ich nenne Motive aus der Geschichte, ordne sie räumlich Orten in der Kirche zu, und dann gehen alle, die wollen, von einem Ort zum anderen und suchen den Platz, an den sie gerade gehören mit ihrem Glauben und ihrem Leben. Im Gehen klärt sich meistens mehr als im Sitzen, und manche erfahren: Gottes Wort schenkt, was es sagt, und wovon in der Bibel die Rede ist, kann heute Wirklichkeit werden. Schätze im normalen Gottesdienst: Was in all diesen Momenten geschieht, verstehen nicht alle in jedem Augenblick. So ist das mit den Geheimnissen des Glaubens. Aber zugleich versteht es sich von selbst, wärmt das Herz, nährt die hungrige Seele und heilt manche Wunden. Und darum geht es bei der spirituellen Suche.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. September 2003 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Lisa Neuhaus ist Pfarrerin in der St. Petersgemeinde im Nordend.