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Von – 1. September 2004

„Prüft aber alles…“

Ohne Bildung keine Religion. Denn wie sollte ein Mensch zum Glauben kommen, wenn ihm das dazu notwendige Wissen nicht vermittelt wird? Alle Religionen sind auf diese Wissensvermittlung, auf die Verkündigung ihrer je eigenen Botschaft angewiesen. Geht es doch um nichts geringeres als um Lebens- und Weltdeutung.

Pfarrer Björn Uwe Rahlwes verabschiedet sich mit diesem Beitrag aus der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“, wo er seit 1993 mitgearbeitet hat. Er ist jetzt Dozent am Religionspädagogischen Studienzentrum in Kronberg. Foto: Oeser

Religion stellt sich der Frage nach dem Sinn des Lebens und der Welt, in der wir leben, und muss darauf nachvollziehbare und einleuchtende Antworten finden. Antworten, die Menschen interessieren, faszinieren und motivieren können, ihr eigenes Leben sowie ihr Zusammenleben mit anderen Menschen im Lichte dieser religiösen Botschaft zu sehen und sich dafür zu engagieren.

Wenn man auf die nunmehr fast zweitausendjährige Geschichte des Christentums zurückblickt, dann finden sich viele Beispiele dafür, wie die Entwicklung von einer kleinen Splittergruppe der jüdischen Religionsgemeinschaft – der so genannten Jerusalemer „Urgemeinde“ – zu einer der großen Weltreligionen gelingen konnte. Am Anfang sind es nur wenige Menschen, die die christliche Botschaft verbreiten, zum Beispiel der Apostel Paulus und andere Missionare – und auch Missionarinnen. Mit ihren Missionsreisen durch zahlreiche Regionen des damaligen römischen Reiches haben sie entscheidend dazu beigetragen, dass sich das noch junge Christentum in den bedeutenden Städten der Spätantike rasch ausbreiten und viele neue Anhänger und Anhängerinnen finden konnte.

Sie gehen dabei immer nach dem gleichen Muster vor: Kommen sie in eine Stadt, fangen sie sogleich an, die frohe Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen, leisten Überzeugungsarbeit, begeistern Menschen und gewinnen sie für den neuen Glauben. Im Dialog mit anderen Religionen setzt insbesondere Paulus auf den Wettstreit der besseren Argumente. „Prüft aber alles, und das Gute behaltet“, lautet seine Devise. Modern ausgedrückt: Paulus hat ein klares religionspädagogisches Konzept, wonach die frühen Christen eine Gemeinde nach der anderen gründen.

Was folgt, ist bekannt: Der Aufstieg des Christentums zur führenden Religion im römischen Reich und damit der Beginn des „christlichen Abendlandes“. Es ist aber zugleich auch der Anfang einer langen Epoche der Machtausübung und des Machtmissbrauchs seitens der Kirche. Kreuzzüge, Ketzerverfolgungen und Religionskriege mögen als Stichworte genügen. Das führt zu Gegenbewegungen, von denen die Reformation die wichtigste ist. Dem Herrschaftsanspruch der Kirche stellt sie das vierfache „Allein“ entgegen: allein Christus, allein durch Gnade, allein im Glauben, allein die Schrift. Bevor Martin Luther zu diesen grundlegenden reformatorischen Erkenntnissen gelangt, ist es kein Zufall, dass er bei seinen Studien den Theologen Paulus wiederentdeckt. Die evangelische Betonung der Freiheit des Glaubens führt zum Ideal des mündigen Christen. Der liest selbst in der Bibel, macht sich in religiösen Fragen kundig und weiß daher, was er glaubt. Kurz: Die Reformation führt zu einer umfassenden Bildungsbewegung. Dieses Bündnis von Glauben und Bildung ist seither typisch für den Protestantismus.

Noch heute können wir von Luther und von Paulus einiges lernen: von Paulus die Dialogfähigkeit in einer pluralistischen Gesellschaft, von Luther den klaren Standpunkt, dass die Kirche mit Wahrheit überzeugen kann, aber nicht mit Zwang. Es geht um Bildung –und die gehört heute wieder zu den ganz großen Themen der Gegenwart. Pisa und anderen Studien sei Dank. Angesichts der aktuellen Bildungsdebatte wäre es typisch evangelisch, das Recht auf gleiche Chancen und Zugänge zur Bildung einzufordern, sich für mehr Förderung statt Auslese einzusetzen und einer einseitigen Verengung des Bildungssystems allein auf wirtschaftlich verwertbares Wissen entgegenzuwirken. Nicht zuletzt: Nachhaltige Investitionen in unser Bildungssystem. Damit die nachwachsende Generation eine Zukunft hat. Denn wir alle brauchen Bildung. Nicht nur in Sachen Religion und Glaubensfragen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. September 2004 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Pfarrer Björn Uwe Rahlwes war lange Zeit Mitglied der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Danach wurde er Dozent am Religionspädagogischen Studienzentrum in Kronberg.