Am Kreuz ließ der römische Staat in antiken Zeiten Verbrecher und politische Gegner hinrichten. Einer von ihnen war Jesus von Nazareth – deshalb ist das Kreuz das Symbol der Christenheit. Doch immer mehr Menschen fragen: Könnte das „Markenzeichen“ der Christen nicht etwas Positiveres und Freundlicheres sein?
Das Kreuz ist zweifellos ein schwieriges Symbol, zu schwierig, zu düster und traurig, finden manche. Es gibt auch einige Ideen und Vorschläge, was man sich an Stelle des Kreuzes vorstellen könnte. Ein Brot zum Beispiel: als Symbol für das, was Menschen nährt und was zum Teilen bestimmt ist. Oder die Kerze: Symbol für eine Existenz, die sich selbst einsetzt und dabei leuchtet und wärmt. Oder auch der Regenbogen: zwischen dunklen Wolken und Sonnenschein ein farbiges Zeichen dafür, dass das Leben weitergeht und dass Gottes Treue fortbesteht.
Alle drei gefallen mir. Und ich möchte, dass sie einen Platz haben in der Zeichenwelt meines Glaubens. Gut, wenn freundliche Bilder an die Seite des Kreuzes treten und es ergänzen. Aber könnten Brot, Kerze oder Regenbogen auch an die Stelle des Kreuzes treten und es ersetzen? Ich glaube kaum. Am Symbol des Kreuzes hängen zwei Dinge, ohne die ich mir christlichen Glauben nicht vorstellen kann: Erinnerung und Hoffnung.
Jedes Kreuz erinnert an die Hinrichtung des Menschen Jesus von Nazareth und hält damit die Verbindung zu seiner Person und zu seiner Geschichte fest. Diese Geschichte hat viele Gesichter, auch freundliche und fröhliche. Aber zum Ende hin trägt sie vor allem die Züge von Liebe und Tod. Und dieses Sterben ist hart und grausam, wie das Sterben unzähliger anderer Menschen auch. Das Kreuz als Erinnerungszeichen sagt dann: Er, Jesus, ist einer von uns.
Diese Erinnerung brauche ich. Dabei geht es nicht immer gleich um Leben und Tod. Es geht zum Beispiel auch darum, dass jemand beim Blick auf das geschnitzte Kruzifix zu Hause an der Wand schlicht sagen kann: „Der da hatte es ebenfalls schwer. Der versteht mich.“ Gut, wenn man für dieses Gefühl nicht nur Worte hat, sondern auch ein Bild. Es wird dadurch stärker. Wobei das nicht immer funktioniert. Als Acht-, Neunjährige bei ihren Ferienspielen gemeinsam im katholischen Gemeindezentrum übernachten sollen, bekommt eins der Kinder vor dem Einschlafen heftiges Heimweh. Die Freundin versucht zu trösten, zeigt auf das Kruzifix an der Wand und sagt: „Der beschützt dich.“ Kommt aus dem Schlafsack nebenan: „So ein Quatsch, wie kann einen denn ein Toter beschützen?“
Wäre Jesus ein Toter geblieben, wäre es sicher zu Ende gewesen mit seiner Bewegung. Und bald auch mit der Erinnerung an ihn. Ohne den neuen Anfang, ohne die Erfahrung „Er lebt!“ wäre sein Kreuz nur eines von vielen im römischen Reich geblieben. Mit der Auferstehung aber steht das Kreuz immer auch für seine eigene Überwindung.
Doch der Tod und das Sterben mussten zunächst gelebt und durchlitten werden, von Jesus selbst und auch von den Seinen. Erst im Nachhinein, rückwärts, konnte es verstanden werden. Über dem leeren Kreuz auf der Hinrichtungsstätte Golgatha ist die gleiche Sonne aufgegangen, in deren Licht der Auferstandene seinen Jüngerinnen und Jüngern neu begegnet ist. In diesem Licht wird der Ort des Todes zu einem Ort, der auf neues Leben wartet. Und das Kreuz wird so auch zu einem positiven Zeichen. Weil es jetzt dem tödlichen Nein entgegensteht, eine Wende ins Leben symbolisiert und Hoffnung stärkt. Dann fließt aus den geöffneten Armen des Gekreuzigten nicht nur Blut, sondern auch Segenskraft. Wie gesagt: Das ist erst rückwärts zu verstehen und erst in einem neuen Licht zu erkennen.
Von daher ist es gut, dass es zwei Arten von Kreuzen gibt, solche, die leer sind, und solche, die einen Körper tragen. Denn sie können dazu dienen, dass man an dieser Stelle nicht eindimensional wird, sondern verschiedene Blicke bekommt. Sie nehmen den Schrecken wahr und halten Schmerz aus, und sie entdecken Segen, gewinnen Hoffnung und warten auf neues Leben.