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Von – 1. Oktober 2005

Wut, Trauer, neuer Anfang

Veränderungen verunsichern – sei es der Verlust einer Arbeitsstelle, der Beginn einer Beziehung, ein Umzug oder eine neue Chefin. Sie verunsichern ganz im Wortsinn, denn die Sicherheit des Gewohnten muss aufgegeben werden. So wie es war, wird es nicht mehr sein. Wichtig ist es, Veränderungen bewusst zu gestalten und sich nicht einfach von ihnen überrollen zu lassen.

Pfarrerin Eli Wolf leitet das Evangelische Frauenbegegnungszentrum in Frankfurt. Foto: Surrey

Am Ende meiner Studienzeit im Ausland organisierte eine Freundin für mich ein spontanes Picknick. Nach einem spannenden Jahr fiel mir der Abschied schwer. Gern hätte ich die Zeit angehalten, die kost­ baren Monate ausgedehnt. Ich erlebte, was alle wirklichen Veränderungen auslösen: Abschiedsschmerz und Trauer, Sorge, ob die alten Bindungen weiter bestehen werden, Unsicherheit, was wohl auf mich zukommt. Werde ich eine Wohnung finden und eine Arbeit, in der ich meine Fähigkeiten einbringen kann? Überfordert mich das? Andererseits freute ich mich aber auch auf das Neue und die kommenden Herausforderungen.

Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob Veränderungen selbst gewählt oder von außen vorgegeben werden – vielleicht sogar gegen den eigenen Willen. Viele, die ihren Arbeitsplatz verlieren oder einen geliebten Menschen, werden dem kaum etwas Positives abgewinnen können. Aber letztlich haben alle Veränderungen zwei Seiten: aktives Gestalten und passives Erleben. Es gibt Aspekte, die wir nicht ändern, sondern nur annehmen können. Und anderes, das wir aktiv gestalten können.

Heute wird die Bereitschaft zu häufigen Veränderungen ganz selbstverständlich erwartet. Der Arbeitsmarkt verlangt ein hohes Maß an Flexibilität und die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen. Was früher typische Frauenbiographien waren, gilt heute für alle: Die Ausbildung in einem Beruf, befristete Arbeitsstellen, oft in anderen Berufen, der Wechsel zwischen Erwerbsarbeit und anderen Tätigkeiten wie Kindererziehung oder die Pflege älterer Menschen. Fortbildungseinrichtungen gehen längst darauf ein und bieten Kurse in „Selbstmanagement“ an. Dabei wird vor allem angepriesen, dass Veränderungen inspirieren und begeistern können. Nur selten wird auch die andere Seite thematisiert, die schmerzt und verunsichert, die Ärger, Wut und Trauer auslöst.

Sie gucken noch etwas skeptisch, die Erstklässlerinnen und Erstklässler beim Einschulungsgottesdienst in der Andreas-kirche in Eschersheim. Für rund 5700 Frankfurter Jungen und Mädchen begann im September der „Ernst des Lebens“ – auch so eine wichtige Veränderung, die durchgemacht werden muss. Foto: Oeser

Befremdlich ist auch, dass wichtige Aspekte fehlen: So wird sich stark auf die einzelne Person konzentriert, die etwas lernen oder bewältigen soll. Wer aber eine Veränderung durchlebt, braucht andere Menschen, die in der Trauer begleiten, das Vergangene würdigen, auf Möglichkeiten hinweisen und motivieren. Wenn Menschen sich verbünden, haben sie viele Möglichkeiten zu handeln und etwas zu bewirken. Vieles, was heute selbstverständlich scheint, wie das Wochenende ohne Erwerbsarbeit oder die Möglichkeiten von Frauen, berufstätig zu sein und in der Kirche und der Gesellschaft mit zu entscheiden, ist ja auch hart erkämpft worden. Vielleicht ist nicht alles verwirklicht, was sich diese Menschen damals erträumt haben. Aber ihr Beispiel ist doch ermutigend.

Rituale können Übergänge gestalten. Wir kennen das von Taufen oder Hochzeiten, aber auch vom Ende der Berufstätigkeit oder von Beerdigungen. Warum sollen Rituale nicht auch andere Veränderungen begleiten?

Wenn zum Beispiel Stellen abgebaut werden, haben die entlassenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufig den Eindruck, sie seien einfach überflüssig. Eine lapidare Kündigung in einem unpersönlichen Brief ist auch eine Entwertung der Person, die diese Arbeit ausgefüllt hat. Nötig wäre eine Kultur, die bei aller Bereitschaft zu notwendigen Veränderungen Raum lässt für Wut und Trauer, die das Bisherige anerkennt und würdigt, auch wenn wir uns davon verabschieden müssen.

Mir jedenfalls hat das Segensritual am Ende meines kleinen Abschieds-Picknicks geholfen. Zuerst erzählten alle, wie sie mich kennen gelernt und was sie mit mir erlebt hatten. Die gemeinsame Zeit wurde, auch wenn sie begrenzt war, als kostbar und wichtig gewürdigt. Dann gaben mir alle ihre Wünsche mit auf den Weg und segneten mich. Es ist ein Segen, der mich bis heute begleitet.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Oktober 2005 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Pfarrerin Eli Wolf leitet das Evangelische Frauenbegegnungszentrum in Frankfurt.