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Von – 1. Februar 2006

Kein reines Gewissen

Dietrich Bonhoeffer, einer der bedeutendsten evangelischen Theologen, wäre am 4. Februar 100 Jahre alt geworden. Sein Leben endete aber schon mit 39 Jahren – er wurde im Konzentrationslager Flossenbürg am 9. April 1945 hingerichtet. Wegen seines konsequenten Widerstandes gegen die Nazis wird er heute in der evangelischen Kirche bewundert und gefeiert. Seine Theologie hinterlässt aber noch ein paar offene Fragen.

Darf ein Christ Mord gutheißen, sich sogar an Attentaten beteiligen? Natürlich nicht, lautete auch die Antwort von Dietrich Bonhoeffer – aber trotzdem kann es manchmal notwendig sein. Zum Beispiel, wenn man es mit Leuten wie Adolf Hitler zu tun hat. „Wer hält stand?“ fragte Bonhoeffer an der Wende zum Jahr 1943: „Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist.“

Bonhoeffer kam angesichts des Nazi-Terrors zu der Überzeugung, dass ein Christ im Gehorsam gegen Gott und die Wahrheit gezwungen sein kann, nicht nur gegen die Gesetze, sondern auch gegen die Moral und die biblischen Gebote zu verstoßen – eine wahrhaft steile These. Rechtfertigt also für Bonhoeffer der Zweck die Mittel? Ja und nein: „Es ist zwar nicht wahr, dass der Erfolg auch die böse Tat und die verwerflichen Mittel rechtfertigt, aber ebenso wenig ist es möglich, den Erfolg als etwas ethisch völlig Neutrales zu betrachten.“

Das Besondere an Bonhoeffers Theologie ist ihre Komplexität. Seine Ethik beinhaltet vor allem den Mut zur persönlichen Entscheidung und zum Dilemma: „Civilcourage kann nur aus der freien Verantwortlichkeit des freien Mannes erwachsen. Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht.“

Als Bonhoeffer selbst sich zum Handeln entschloss, hatte er sich seine Entscheidung nicht leicht gemacht. Er unterstützte den militärischen Widerstand gegen Hitler, bei dem sein Schwager Hans von Dohnanyi eine zentrale Rolle spielte und der im Juli 1944 zu einem missglückten Attentat auf Hitler führte. Zu diesem Zeitpunkt war Bonhoeffer bereits im Gefängnis. Bei der Verfolgung der Attentäter wurden aber Dokumente gefunden, die seine Beteiligung bewiesen und schließlich zum Todesurteil führten.

In der Haft führte Bonhoeffer seine Überlegungen weiter. Immer unbefriedigender fand er es, Gott als „Lückenbüßer“ für das zu verstehen, was den Verstand übersteigt, oder als „Scheinlösung für unlösbare Probleme“ wie etwa das Leben nach dem Tod. Solche religiösen Anliegen, das Jenseitige zu erklären, hielt Bonhoeffer für unangemessen: „Das Jenseits Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig“, glaubte er und nannte das: „religionsloses Christentum“.

Es wäre interessant gewesen, wie Bonhoeffer nach dem Krieg diese Theologie weiterentwickelt hätte, wäre er nicht getötet worden. Anfangs galt der Widerständler jedenfalls nicht als Märtyrer oder gar als „evangelischer Heiliger“ wie heute. Er war ja nicht – wie viele andere – ermordet worden, weil er treu zum Glauben stand, sondern weil er aktiv gegen das Regime gearbeitet hatte. Vom politischen Widerstand aber hat sich die evangelische Kirche bis in die neunziger Jahre hinein distanziert.

Doch auch Bonhoeffer selbst sah sich nicht als unschuldiges Opfer, im Gegenteil. Er wusste, dass er schuldig war – und zwar nicht nur dem Gesetz nach, sondern auch vor Gott. Aber er lebte nun einmal in Zeiten, in denen es nicht möglich war, als frommer Christ unschuldig zu bleiben.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Februar 2006 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.