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Aktuell

Von – 1. Juli 2006

Was zählt, ist die Liebe

Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck wurde kürzlich Opfer von rechtsradikalen Schlägern bei einer Homosexuellendemonstration in Moskau. Die Aufregung in Deutschland war groß, zumal ein deutscher Politiker verletzt wurde. Gleichwohl zeigte sich auch in hiesigen Leserbriefen und Kommentaren, dass sich in Bezug auf Homosexualität hinter der Fassade gesellschaftlicher Toleranz nach wie vor ein hohes Maß an Unverständnis, Misstrauen und Ablehnung verbirgt.

Claudia Neffgen ist Pfarrerin in der Katharinengemeinde. Foto: Oeser

Die staatliche Beendigung der Rechtlosigkeit gleichgeschlechtlicher Paare hat vor zehn Jahren auch in der evangelischen Kirche heftige Debatten um die kirchliche Anerkennung dieser Lebensform ausgelöst. Die damals zu Papier gebrachten Stellungnahmen und Orientierungshilfen sind ausgewogen und motivieren zur Auseinandersetzung: Seitdem bleibt es den einzelnen Kirchenvorständen und den Pfarrerinnen und Pfarrern überlassen, ob sie Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare vornehmen.

Wer auf die biblischen Aussagen zur Homosexualität blickt, stellt zunächst fest, dass homosexuelle Praxis als solche strikt abgelehnt und als dem ursprünglichen Schöpferwillen Gottes widersprechend eingestuft wird. Aber an keiner dieser Stellen wird die Frage nach einer ethisch verantwortlichen Gestaltung einer homosexuellen Beziehung vom Liebesgebot her thematisiert. Doch da das Liebesgebot als Inbegriff des heilsamen Gotteswillens ausnahmslos und für alle gilt, kann auch das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare nicht davon ausgenommen werden.

Das heißt, dass sich die Qualität einer homosexuellen Beziehung – wie jeder anderen zwischenmenschlichen Beziehung auch – an der Kraft der Liebe bemisst und daran, ob zwei Menschen bereit sind, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Kein Mensch will auf seine rein körperliche Geschlechtlichkeit reduziert werden. Es gibt tiefe Zuneigung und treues füreinander Einstehen sowohl bei Hetero- wie bei Homosexuellen, andererseits aber auf beiden Seiten auch chronische Untreue und die Unfähigkeit, in den unterschiedlichen Lebenssituationen auf Dauer ein verlässlicher Partner zu sein.

Sexualität wird in modernen und aufgeklärten Gesellschaften, solange sie sich im Rahmen der vorgegebenen rechtlichen Normen und Spielregeln bewegt und die Würde und den Willen anderer Menschen achtet, zu Recht als Teil der Privatsphäre betrachtet. Deshalb hat auch niemand in der Kirche das Recht, die Sexualität anderer Menschen zu bewerten, gerade auch, was die Veränderbarkeit des sexuellen Verhaltens angeht. Daher gilt es, gleichgeschlechtliche Liebe nicht nur zu dulden, sondern sie als eine von zahlreichen sozial und emotional gewachsenen Beziehungsmustern zu würdigen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hält allerdings daran fest, dass im Zentrum des jüdisch-christlichen Menschenbildes die Zuordnung von Mann und Frau samt Fortpflanzungsauftrag steht, und dass der Staat zu Recht Ehe und Familie als Schutzräume für Kinder privilegiert.

Als evangelische Pfarrerin bin ich froh, einer Kirche anzugehören, deren Theologie sich den veränderten Lebenslagen und Lebensformen nicht verschließt, sondern die biblischen Schriftstellen kritisch auslegt und befragt. Eine Religion bleibt oder wird für den Menschen deshalb bedeutsam, weil er gewiss sein kann, in der eigenen individuellen Entfaltung und Einzigartigkeit nicht nur von Gott, sondern auch von der Kirche bedingungslos – und das heißt ohne unterschwellige Unwerturteile – angenommen zu sein.

Die Kirche ihrerseits ist darauf angewiesen, ihre Anschlussfähigkeit an die Lebenswelt nicht nur immer wieder unter Beweis zu stellen, sondern die Bedingungen, unter denen die Menschen leben, produktiv mit zu gestalten – auch wenn sie dadurch immer wieder in Zerreißproben gerät. Nicht nur als Einzelne, auch die Kirche Jesu Christi muss lernen, mit Spannungen zu leben und an einer menschlichen Gesellschaft mitzubauen, die allen die gleiche Würde zuerkennt und niemanden zum Opfer von Gewalt und Ausgrenzung werden lässt.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juli 2006 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Claudia Neffgen ist Pfarrerin in der Katharinengemeinde.