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Aktuell

Von – 1. September 2006

Ökonomie und Nächstenliebe

Ärztestreik, Kassenpauschale, steigende Zuzahlungen – fast täglich gibt es neue Schlagzeilen aus dem Gesundheitswesen. Mehr Markt, mehr Eigenverantwortung, mehr Konkurrenz heißt die von der Politik vorgegebene Devise. Ein Trend, der auch das christliche Selbstverständnis berührt: Wieviel Ökonomie verträgt die Nächstenliebe?

Foto: picture-alliance

Etwa ein Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland befinden sich in evangelischer oder katholischer Trägerschaft. Schon seit geraumer Zeit stellen sie sich auf die Veränderungen im Gesundheitswesen ein. In Frankfurt haben sich die drei evangelischen Krankenhäuser – das Markuskrankenhaus in Ginnheim, das Diakonissenkrankenhaus im Nordend und das Bethanienkrankenhaus in Bornheim – vor acht Jahren zu einem Verbund zusammengeschlossen, den Evangelischen Diakoniekliniken. Daraus ist 2002 die Agaplesion AG entstanden, ein evangelischer Gesundheitskonzern, zu dem inzwischen auch Häuser in Wuppertal, Hamburg, Ulm und Stuttgart gehören.

Die modernen, an höchsten medizinischen Standards ausgerichteten und professionell gemanagten Häuser haben nicht mehr viel gemeinsam mit den Wurzeln der diakonischen Krankenpflege. Nicht aufopfernde, von christlicher Nächstenliebe motivierte Diakonissen arbeiten hier, sondern Profis, die nach gleichen Kriterien arbeiten – und abrechnen – wie in anderen Häusern auch. Agaplesion-Vorstand Bernd Weber bekennt sich zu diesem Weg (siehe Interview). Andere sehen den Trend aber auch kritisch. Ist es mit den christlichen Grundwerten vereinbar, Putzfrauen und Pflegehilfskräfte immer schlechter, Ärzte hingegen immer besser zu bezahlen, wie der Markt es vorgibt? Bleibt die christliche Zuwendung nicht auf der Strecke, wenn man ständig das von den Kassen vorgegebene Behandlungsbudget im Auge behalten muss?

Optimisten sehen in dem immer stärker werdenden Druck im Gesundheitsbereich aber sogar einen „Wettbewerbsvorteil für die christliche Werteorientierung“ – so zum Beispiel „proCum Cert“, eine von Diakonie und Caritas getragene Agentur, die Krankenhäuser auf eben diese christlichen Werte hin prüft – und nach allen Regeln der Managerkunst zertifiziert.

Krankenhäuser im Wandel

Hospitäler gab es schon in der griechischen und römischen Antike. Allerdings waren sie Reichen und Soldaten vorbehalten. Im westlichen Kulturkreis waren die frühen christlichen Gemeinden die ersten, deren Diakone und Diakoninnen auch arme Menschen pflegten, wenn sie krank waren. Vorbild war ihnen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

Im europäischen Mittelalter waren praktisch alle Hospitäler in christlicher Hand. Oft waren es Ordensschwestern, die sie betrieben. Im 16. und 17. Jahrhundert jedoch geriet die christliche Krankenpflege in eine schwere Krise: Allzu lange verweigerte sich die Kirche den wissenschaftlichen Neuerungen auf dem Gebiet der Medizin.

Erst im 19. Jahrhundert wurde diese Skepsis überwunden. Auf evangelischer Seite entstanden die Diakonissenhäuser, in denen sich unverheiratete Frauen sozial engagierten. Mit der Einführung staatlicher Krankenkassen gab es dann einen regelrechten Boom evangelischer Krankenhausgründungen. Träger waren meist unabhängige Diakonievereine.

Im 20. Jahrhundert hat sich die Krankenpflege modernisiert, auch wenn die Dienstkleidung der „Schwestern“ noch lange an die christlichen Wurzeln des Berufs erinnerte. Seit der Gesundheitsreform Mitte der 1990er Jahre müssen Krankenhäuser immer mehr nach marktwirtschaftlichen Gesetzen arbeiten.

„Wir packen die Dinge pragmatisch an“

Bernd Weber ist Geschäftsführer der Frankfurter Diakonie-Kliniken GmbH und Vorstand der gemeinnützigen Agaplesion AG. Foto: Schrupp

Die Ärzte an kommunalen Kliniken haben sich mit ihrem Streik eine gute Lohnerhöhung erkämpft. Welche Auswirkungen hat das auf evangelische Krankenhäuser?

Zunächst gilt für uns die Arbeitsrechtsregelung des Diakonischen Werkes, wir sind nicht tarifgebunden im Sinne, dass wir Verhandlungen mit Verdi oder dem Marburger Bund führen. Aber wir stehen ja auf dem Arbeitsmarkt in der Konkurrenz und können nicht wesentlich abweichen von dem, was andere zahlen. Wobei wir das aber sehr kritisch sehen, weil sich hier eine Gruppe aufgrund ihrer Machtposition von den anderen entsolidarisiert. Wir haben ein Problem damit, einfach zu sagen: Dann bauen wir eben die Stellen im Pflegebereich ab, um die Ärzte besser zu bezahlen.

Können Sie nicht einfach allen mehr bezahlen?

Das ist eine naive Betrachtung, denn das Budget ist ja begrenzt. Deshalb ist es ja so eine große Herausforderung für uns, wenn zukünftig Ärzte ihr Gehalt überproportional verbessern in einer Zeit, wo alle anderen mit Lohneinbußen rechnen müssen.

Evangelische Krankenhäuser schließen sich in der Agaplesion AG zusammen. Warum ist das ökonomisch sinnvoll?

Es geht dabei nicht nur ums Geld. Private Ketten kaufen schon seit längerem Krankenhäuser auf, und durch ihre Machtposition können sie Einfluss nehmen auf die Politik und die Gesetzgebung. Deshalb wollen wir evangelische Einrichtungen vor Ort stärken. Das geschieht dadurch, dass wir strategische Entwicklungen betreiben und zentrale Dienste vorhalten: Budgetverhandlungen mit den Kassen, die Entwicklung von neuen Konzepten, die Buchhaltung. Und natürlich gibt es dabei auch finanzielle Vorteile, wie beim gemeinsamen Einkauf oder gemeinsamer Personalabrechnung und EDV.

Können Sie Defizite nicht mit Kirchensteuermitteln ausgleichen?

Nein, denn außer einigen Stellen, die die Kirche im Seelsorgebereich finanziert, bekommen wir keinen Cent. Wir müssen kunden­ orientiert sein und eine exzellente Behandlungsqualität bieten, dabei aber auch rentabel sein und Überschüsse erwirtschaften, um unsere Substanz zu halten und neue Investitionen vorzunehmen. Dabei sind wir aber in der guten Situation, dass unsere Aktionäre aus dem kirchlichen Bereich kommen. Sie sind also nicht an shareholder value interessiert, sondern alles, was wir erwirtschaften, bleibt im Unternehmen.

Kommt es nicht manchmal zu Spannungen zwischen der christlichen Orientierung und den wirtschaftlichen Erfordernissen?

Ja, aber wir bekennen uns ganz bewusst zu diesem Spannungsverhältnis. Unsere christliche Orientierung macht sich unter anderem deutlich in unserer Ethikkommission, darin, dass in unseren Krankenhäusern Aussegnungsräume und Kapellen einen besonderen Stellenwert haben, dass wir unsere Mitarbeiter diakonisch fortbilden und eine solche Ausprägung speziell auch bei Führungskräften verlangen. Aber gleichzeitig müssen wir in dieser Welt, in die wir gestellt sind, bestehen können.

Gibt es denn überhaupt eine Nachfrage nach einem christlichen Profil im Krankenhaus? Oder interessiert da nicht allein die medizinische Versorgung?

Wir beobachten immer wieder, dass Patienten ganz bewusst ein christliches Krankenhaus wählen. Interessant ist aber, dass gerade auch Kirchenferne, wenn dann das Zipperlein kommt, durchaus erwarten, dass sie in einem christlichen Krankenhaus noch ein Sahnehäubchen oben drauf kriegen. Es ist nicht immer einfach, diesen Erwartungen zu begegnen, zumal da durchaus auch ein konsumptives Verhalten deutlich wird. Aber wenn man es positiv sieht, ist es doch schön, dass die Leute an uns noch eine Erwartung haben.

Der Trend zur Ökonomisierung im Gesundheitswesen wird von vielen kritisch gesehen. Sollte man dagegen nicht eher protestieren, statt sich daran zu beteiligen?

Ja, das soll die Kirche durchaus tun, sie soll sich zu Wort melden und das Thema gesellschaftspolitisch in die Diskussion bringen und besetzen. Und gleichzeitig binden wir uns die Schürze um den Bauch und packen die Dinge pragmatisch an. Man kann doch in der Zwischenzeit nicht einfach abwarten.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. September 2006 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.