p(einleitung). Der Geist Gottes weht, wo er will – das ist die Botschaft von Pfingsten. Eine gute Botschaft auch angesichts des demografischen Wandels. Denn während viele im Älterwerden der Bevölkerung eine Katastrophe sehen, erinnert Pfingsten daran, dass auch alte Menschen viel an Innovationskraft und Potenzialen einzubringen haben.
!(rechts)2007/05/seite07_rechts.jpg(Andrea Beiner ist Pfarrerin in Frankfurt Griesheim | Foto: Oeser)!
In der vorletzten Ausgabe von „Evangelisches Frankfurt“ konnten wir es lesen: Die Evangelische Kirche liegt im Trend der Republik, auch sie unterliegt dem demografischen Wandel entgegen dem Trend in der Stadt Frankfurt. Während in der Stadt noch mehr Menschen geboren werden als sterben, werden in der evangelischen Kirche mehr Menschen zu Grabe getragen als getauft. Das bedeutet, die Zahl der evangelischen Christinnen und Christen nimmt kontinuierlich ab, und das Durchschnitts alter steigt.
Heißt dies nun, dass auch die Kirche in die häufig zu hörenden Klagen über eine „überalternde“ und „vergreisende“ Kirche und Gesellschaft einstimmen muss? Theoretisch wissen wir es längst: Wir werden nicht nur älter, wir werden auch in der Mehrzahl gesünder, leistungsfähiger und wohlhabender älter als die Generationen vor uns. Und doch erfüllt viele Menschen eine unbestimmte Angst, wenn sie an das Alter denken. Älter werden ist in Ordnung, aber alt sein? Das Alter wird immer noch oft nur mit körperlichem und geistigem Abbau, mit Hilfe- und Pflegebedürftigkeit, mit Einsamkeit und Leben in der Vergangenheit gleichgesetzt.
„Eure Alten sollen Träume haben …“ – mit diesen Worten des Propheten Joel beschreibt Petrus das Geschehen, an das sich die Kirchen am Pfingstfest Ende Mai erinnern. Jesus war nach seinem Tod, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt für seine Freundinnen und Freunde als sichtbares Gegen über nicht mehr greifbar und nicht mehr direkt ansprechbar. Aber seinen Geist, den Geist, der ihn zu den Menschen am Rande der Gesellschaft getrieben hat, den Geist, der ihn hat reden lassen von einer Gemeinschaft, in der jede und jeder seinen und ihren unersetzlichen Platz einnimmt, den Geist, der es ihm ermöglichte, verkrümmte, schuldbehaftete Menschen zu einem Neuanfang zu ermutigen – diesen seinen Heiligen Geist hat er seinen Freundinnen und Freunden in ihre Herzen, in ihre Hände, in ihren Mund gegeben. Da, wo dieser Geist wirkt, werden – neben anderem – alte Menschen Träume haben.
!(kasten)2007/05/seite07_unten.jpg(Das Alter als eigene Lebensphase erleben – zum Beispiel hier bei der Initiative „55 Plus“ der Erlösergemeinde in Oberrad: Mit Gedächtnistraining und Koordinationsübungen halten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fit und haben auch noch Spaß dabei. Infos zu Aktionen und Programm unter Telefon 657529. | Foto: Surrey)!
Sowohl in Nachtträumen als auch in Tagträumen als auch in Menschheitsträumen melden sich Wünsche und Sehnsüchte, bilden sich Bilder und Phantasien von einem besseren und friedlicheren Leben ab. Solche Träume geben Kraft zum Handeln, machen Mut und helfen, dass die Hoffnung nicht untergeht und der Weg in die Zukunft offen bleibt. Die Träume älterer und alter Menschen sehen anders aus als die Träume der Jüngeren. Sie werden geprägt durch erfüllte und unerfüllte Träume der Vergangenheit, genährt durch langjährige Erfahrungen, durch eine größere Übersicht und Einsicht und das wachsende Bewusstsein von der eigenen Endlichkeit. Ältere und alte Menschen haben Träume und Gestaltungswillen – für sich selbst, aber auch für die Generationen, die nach
ihnen kommen, und für das Leben mit ihnen in der Kirche und der Gesellschaft. Und sie haben größere Freiheiten, sich einzubringen, damit einige ihrer Träume Wirklichkeit werden, als in den Lebensabschnitten vorher: Nicht mehr der strenge „Stundenplan“ eines Schul- und Arbeitslebens bestimmt ihre Zeit, auch nicht der Zwang zu bestimmten Beschäftigungen, sondern sie haben mehr Freiheiten, ihre Zeit selbst einzuteilen, bisher Versäumtes nachzuholen, Unerprobtes auszuprobieren.
Alte Menschen haben Träume. Der Geist Gottes wirkt dort, wo auch ihre Träume ernst genommen werden, wo ihnen Gestaltungswille und Innovationskraft, Bildungsfähigkeit und die Vermittlung von Erfahrungswissen zugetraut werden, wo sie selbst den Mut haben, sich zu organisieren und aktiv einzubringen gegen die oft noch herrschenden Vorbehalte der Jüngeren. Der Geist Gottes wirkt dort, wo jüngere Menschen keine Angst mehr haben vor dem steigenden Durchschnittsalter, sondern die Chancen und Potentiale auch dieses Lebensabschnitts erkennen können.
p(autor). Andrea Beiner