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Aktuell

1. November 2007

Der schwere Weg zur Lehrstelle

p(einleitung). Ein Hauptschulabschluss mit schlechten Noten in Deutsch und Mathe – das bedeutet normalerweise das Aus bei der Suche nach einer Lehrstelle. Ein neues Projekt des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit gibt Jugendlichen, die in der Schule nicht zurecht gekommen sind, eine zweite Chance.

Ismeta würde gerne im Büro arbeiten. „Bürokauffrau, das ist ein schöner Beruf. Man hat mit Menschen zu tun und muss nicht den ganzen Tag stehen“, stellt sie sich vor. Am Computer zu arbeiten macht ihr Spaß. Doch der Weg zum Wunschberuf ist für die 17-Jährige schwer. Viele Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz hat sie geschrieben, „aber keine Chance“, gesteht sie realistisch ein. Zwar hat sie den Hauptschulabschluss geschafft, aber „nur gerade so“. Vor allem mit ihrem Deutsch hapert es, „meine Mutter konnte mir nicht beim Üben helfen.“ Jetzt nimmt Ismeta einen neuen Anlauf: Seit Anfang September ist sie eine von 36 Jugendlichen, die sich beim Evangelischen Verein für Jugendsozialarbeit für den Arbeitsmarkt qualifizieren können.

!(rechts)2007/11/seite03_oben.jpg(Eddy – links – will Architekt werden, Ibrahim hofft auf einen Ausbildungsplatz als Maler und Lackierer. Auf den Baustellen der Lehrbetriebe können sie schon erste Erfahrungen sammeln – mit echter Arbeit für echte Kunden. | Foto: Rolf Oeser)!

In einem ehemaligen Gemeindehaus in der Zehnmorgenstraße in Eschersheim sowie in einer Filiale Am Bügel hat der Verein seinen „Lehrbetrieb“ eingerichtet. Zwischen drei Schwerpunkten können die Jugendlichen wählen: Büro, Bauhandwerk und Gastronomie. Finanziert wird das Projekt vom Land Hessen mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds sowie der Stadt Frankfurt. „Bei uns steht nicht die Schule im Zentrum, sondern die Arbeitswelt“, erklärt der Geschäftsführer des Vereins, Bernd Ackermann. Das kommt den Jugendlichen entgegen, denn mit der Schule haben sie meistens schlechte Erfahrungen gemacht. „Ich habe großen Respekt vor allen, die in der Hauptschule unterrichten“, sagt Ackermann, „aber was will ein Lehrer bei Klassen mit über dreißig Kindern ausrichten?“

Wer schwänzt, ist selber schuld und muss sehen, wo er bleibt. So wie Eddy zum Beispiel. Der aufgeweckte und offensichtlich intelligente 17-Jährige stand mit dem Klassenzimmer auf Kriegsfuß. Immer wieder blieb er einfach weg. Dabei hat er ein großes Ziel: Architekt will er werden. „Ich möchte Häuser bauen und meinen eigenen Stil hervorbringen“, erzählt Eddy. „Auch alte Häuser gefallen mir, weil da so viel Geschichte drin steckt.“ Nur das mit der Theorie, das war eben nicht so sein Ding. Nun geht er das Vorhaben von der praktischen Seite an: In den nächsten Monaten will er die Grundbegriffe des Bauhandwerks lernen, dann hofft er auf eine Schreinerlehre. „Danach werde ich dann Innenarchitekt und von dort geht es weiter“, sagt er und lacht ein biss-chen verschmitzt.

Was Jugendliche wie Eddy motiviert, ist, dass es im Lernbetrieb um das wirkliche Leben geht: Geleistet werden muss echte Arbeit für echte Kunden. Der Gastronomiebetrieb kocht das Mittagessen für eine Kindertagesstätte und eine Kindergruppe, die Maler- und Lackierertruppe führt reguläre Aufträge aus, für die Kunden Geld bezahlen. Da kann man nicht einfach wegbleiben, weil man keine Lust hat. Frank Kaiser, der die Handwerksgruppe anleitet, ist begeistert von seiner „phantastischen Truppe“. Bevor er zu den Lehrbetrieben kam, hat er in Betrieben Jugendliche zum Maler und Lackierer ausgebildet. Einen großen Unterschied zwischen „normalen“ Azubis und seinen heutigen „Problemfällen“ sieht er nicht. „Die sind genauso fit und motiviert, wenn man sie nur richtig anpackt und individuell auf sie eingeht“, sagt er. Nun hofft er auf weitere Aufträge von Firmen oder auch Privatpersonen und garantiert: „Wir liefern hundertprozentige Arbeit ab, genau wie jeder andere Handwerksbetrieb.“

!(rechts)2007/11/seite03_unten.jpg(Ismeta, Fatima und Schieba – v.l.n.r. – haben sich für den Schwerpunkt „Büro“ entschieden. Im Lehrbetrieb rüsten sie sich für die schwierige Suche nach einem Ausbildungsplatz. | Foto: Rolf Oeser)!

Die meisten Jugendlichen haben, wie Ismeta und Eddy, ein klares Ziel vor Augen: Fatima will Einzelhandelskauffrau werden, Ibrahim Maler und Lackierer, Islan Verkäufer. Sie hoffen, dass sie ihren schlechten Notendurchschnitt noch wettmachen können: Schließlich lernen sie neben der praktischen Arbeit auch besseres Deutsch und Mathe sowie die Grundbegriffe der Computerprogramme Word und Excel, machen Praktika und vertiefen ihre Berufskenntnisse im Unterricht von Berufsschulen, mit denen das Projekt kooperiert.

Evelyn Rogowsky, Sozialarbeiterin und Koordinatorin, hat die Ausbildungspläne aller Jugendlichen im Kopf: „Ich weiß, wer wann wohin muss.“ Sie kennt die sozialen Umstände der Einzelnen, ihre individuellen Stärken und Schwächen, und kann vermitteln, wenn es mal Probleme gibt. Der Arbeitstag in den Lehrbetrieben dauert von 9 bis 16.15 Uhr, das „Lehrlingsgehalt“ beträgt ungefähr 100 Euro im Monat. „Wer unentschuldigt fehlt, bekommt das anteilig abgezogen“, erklärt Rogowsky.

Noch schwerer als die anderen hat es Schieba. Die 17-Jährige würde gerne Arzthelferin werden, aber sie hat den Hauptschulabschluss nicht gepackt und kann sich deshalb überhaupt nicht bewerben. Zusammen mit elf anderen büffelt sie nun in der Zehnmorgenstraße zwei Tage in der Woche Deutsch, Mathe, Chemie, Bio, Gesellschaftslehre – alles, was sie für den externen Hauptschulabschluss braucht.

„Das Problem ist nicht, dass diese Jugendlichen zu doof sind, sondern dass sie nicht so leicht aus sich herausgehen, dass sie Vertrauen brauchen, auch Vertrauen in sich selbst“, sagt Bernd Ackermann. „Wenn sie einen Hausflur renoviert haben oder ein Essen gekocht oder ein Fahrtenbuch angelegt, dann wissen sie, dass sie etwas können und dass sie gebraucht werden.“ Und sie verstehen, warum Rechnen und Schreiben nützlich und Zeugnisse wichtig sind.

p(autor). Antje Schrupp

h3. Auslaufmodell Hauptschule

1980 besuchte noch jedes sechste Kind in Frankfurt eine Hauptschule, heute ist es noch jedes zehnte, Tendenz weiter sinkend. Das ist kein Wunder, denn noch dramatischer sind die Chancen auf eine Lehrstelle gesunken: Nur wenige Hauptschüler und -schülerinnen ergattern heute noch einen Ausbildungsvertrag. Die ganz überwiegende Mehrheit der derzeit rund 3500 Frankfurter Jungen und Mädchen im Hauptschulzweig landet in Fördermaßnahmen oder direkt in der Arbeitslosigkeit. Experten zweifeln daher zunehmend am Sinn dieser Schulform.

p(autor). Antje Schrupp

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. November 2007 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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