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Aktuell

1. November 2007

Die Hüterin der Beffchen

p(einleitung). Sie ist ein Original und waltet meist hinter den Kulissen: Maria Susemichel hält auf Frankfurter Friedhöfen die Talare in Schuss.

Das Beffchen ist verknittert und hat einen Fleck. Maria Susemichel nimmt die weiße Halsbinde aus dem selbstgebastelten Pappkästchen auf dem Tisch und steckt sie in eine kleine Plastiktüte, die sie aus ihrer Handtasche zieht. Dann holt sie zwei frisch gebügelte und gestärkte Beffchen aus einer weiteren Plastiktüte und legt sie in die Pappkiste. Der Raum neben der Trauerhalle am Friedhof Westhausen ist klein und nüchtern: Tisch und Stuhl, Waschbecken und Schrank.

!(rechts)2007/11/seite09_oben.jpg(Foto: Rolf Oeser)!

Maria Susemichel begutachtet mit geübtem Blick die beiden Talare, die im Schrank hängen. Einer wurde wohl sehr hastig ausgezogen: Der Ärmel steckt noch im Armloch. Die 83-Jährige schüttelt den Kopf: „Das macht man doch nicht.“ Wenigstens ist heute kein Kragen eingerissen, und es fehlt auch kein Knopf. Sonst würde sie den Talar mit nach Hause nehmen, die Knöpfe selbst annähen und die Risse von einem Änderungsschneider flicken lassen. Ein Talar fehlt allerdings noch, normalerweise hängen hier drei. Der Pfarrer muss also noch auf der Beerdigung sein. Maria Susemichel wartet.

Seit zwanzig Jahren sorgt sie nun zuverlässig auf 21 Frankfurter Friedhöfen dafür, dass die Pfarrer und Pfarrerinnen in ordentlichen Talaren mit gestärkten Beffchen die Trauerfeiern leiten können. Die großen Friedhöfe, den Hauptfriedhof, den Südfriedhof, den Friedhof Westhausen und Bornheim, betreut sie zwei- bis dreimal im Monat, auf die Kleineren geht sie nach Bedarf. Wann wo beerdigt wird, erfährt sie morgens aus der Zeitung. Um elf macht sie sich auf den Weg, um zwei ist sie wieder zu Hause, isst zu Mittag, macht ein Nickerchen.

In Westhausen ist die Beerdigung um halb zwölf zu Ende. Nachdenklich kommt Pfarrer Ludwig Schneider vom Grab zur Trauerhalle zurück. Er betritt den Umkleideraum und begrüßt Frau Susemichel: „Wie schön, Sie zu sehen.“ Frau Susemichel strahlt. Das gebrauchte Beffchen steckt sie in die Handtasche, der Pfarrer hängt den Talar in den Schrank. Vor der Beerdigung hat er Religion unterrichtet und war froh, dass er die lange schwarze Amtskleidung nicht erst in die Schule und dann auf den Friedhof schleppen musste. Viel wichtiger ist, sich nach der unruhigen Schulklasse ganz auf die trauernden Angehörigen einzustellen.

!(rechts)2007/11/seite09_mitte.jpg(Maria Susemichel bei der Arbeit: Hier auf dem Friedhof in Westhausen. | Foto: Rolf Oeser)!

Pfarrer Schneider, erzählt Susemichel, habe ihr einmal ein Beffchen mit der Notiz: „Als Ersatz für ein ‚Gestohlenes’“ hingelegt. Viele andere „Herren“ seien allerdings nicht so umsichtig. Sie „klauten“ die Beffchen, hängten zerrissene Talare wieder in den Schrank – manchmal fehlt auch einer. „Isch reg’ misch da net mehr uff“, sagt die geborene Niederräderin in breitem Frankfurterisch, „aber isch find das net sehr kolleschial.“ Und nach einer Pause: „Naja, is ja net dene ihr Geld.“

Geld ist aber auch in der Kirche knapp. Neue Friedhofstalare werden nicht mehr bewilligt, sogar die Reinigung ist derzeit gestrichen. Nur neue Beffchen darf Frau Susemichel sich ab und zu im „Büro“, in der Verwaltung des Evangelischen Regionalverbandes, abholen, der ihre Dienste mit 200 Euro im Monat entlohnt.

Für die evangelische Kirche arbeitet Maria Susemichel schon seit 1972. Zuerst war sie in der Kantine des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik, später im Archiv. Als Ungelernte hat sie nicht viel verdient und ist froh, heute noch etwas ihre Rente aufbessern zu können. Ihre Touren stellt sie sich selbst zusammen. Mit dem öffentlichen Nahverkehrsnetz ist sie bestens vertraut, im Krieg war sie eine zeitlang als Straßenbahnschaffnerin „dienstverpflichtet“, wie sie erzählt.

Heute steht noch Praunheim auf ihrem Programm. Maria Susemichel verlässt den Friedhof Westhausen über die parkähnliche Anlage, freut sich an einem Eichhörnchen und den Blumen in den angrenzenden Schrebergärten. Der Bus kommt wie bestellt. In Praunheim ist das Kabuff neben der Trauerhalle noch winziger. Dafür sind die Knöpfe am Talar ordentlich in Schuss, und jetzt liegen auch wieder drei gestärkte Beffchen im Kästchen: Frau Susemichel war da.

Nur wenn es regnet oder schneit, geht sie nicht auf Tour. Und Freitagvormittag nicht, da hat sie einen Termin bei der Fußpflege. „Solang’ misch meine Füße noch tragen, mach isch die Abbeit“, sagt sie. „Isch bin zufriede, dass isch an die frisch Luft komm. Mansche hocke ja nur uff de Couch und jammern über Krankheite.“ Maria Susemichels blaue Augen strahlen. Und dann lächelt sie wie ein junges Mädchen.

p(autor). Stephanie von Selchow

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. November 2007 in der Rubrik Menschen, Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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