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1. November 2007

Geschichte zum Auspacken

p(einleitung). Im Historischen Museum wird eine „Bibliothek der Alten“ angelegt

Wesentliche Erinnerungen von Marlies Flesch-Thebesius liegen wohlverwahrt in einer Kassette in Fach Nummer 41: Neben dem
Lebenslauf und einem Porträtfoto hat die 87 Jahre alte frühere Frankfurter Pfarrerin und Journalistin viele interessante Dokumente aus ihrer Familiengeschichte zusammengetragen. Väterlicherseits hat sie jüdische Wurzeln, Großvater Karl Flesch war der erste Sozialpolitiker Frankfurts. Die Familie Thebesius der mütterlichen Seite stammt aus Schlesien und ist schon seit Generationen
eine Pfarrersfamilie. In der Kassette liegen Briefe von Karl Flesch an seine Braut Ida Ebeling, drei CDs über den Journalisten Hans Flesch, der 1929 Intendant des Berliner Rundfunks wurde, sowie ein Text über die Zeit, als Marlies Flesch-Thebesius Pfarrerin an der Alten Nikolaikirche war. Außerdem drei Bücher, in denen sie sich mit dem Widerstand im dritten Reich auseinandersetzt.

Fach Nummer 41 ist eines von insgesamt 150 dunkelbraunen Regalfächern im Historischen Museum, die ein offenes Archiv bilden, ein Kunstwerk mit dem Titel „Bibliothek der Alten“. Das Projekt wurde im Rahmen der neuen „Morgenakademie“ der Evangelische Stadtakademie am Römerberg vorgestellt, die sich gezielt an ältere Menschen richtet.

Die Idee zur „Bibliothek der Alten“ stammt von der Hamburger Künstlerin Sigrid Sigurdsson. Wenn die Erinnerung an Geschichte nicht nur in Form von historischen Texten und Studien wach gehalten, sondern sozusagen „handgreiflich“ wird, so ihre Idee, könnten mehr Menschen dazu Zugang finden.

95 Menschen unterschiedlichen Alters seien bis jetzt dafür gewonnen worden, berichtete Wolf von Wolzogen, der das Projekt im
Historischen Museum betreut. Sie kommen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Berufszweigen. So liegen im
Regal bereits die Erinnerungen von Heinz Düx, der als Untersuchungsrichter 1963 bis 1965 im Frankfurter Auschwitz-Prozess tätig war, Zeugnisse der Schriftstellerin Sylvia Tennenbaum, deren Leben zwischen Frankfurt und New York oszilliert, oder der Bildjournalistin Erika Sulzer-Kleinemeier, die in den 1970er Jahren viele Demonstrationen und Teach-ins abgelichtet hat.

Seit 2005 wird jedes Jahr ein Fach mit solchen Erinnerungen belegt, 2055 soll das letzte angelegt werden – die letzten anvisierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind also heute noch gar nicht geboren. Bis zum Jahr 2105 wird das Projekt abgeschlossen sein. Da die Erinnerungen der Ältesten bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, wird die Frankfurter „Bibliothek der Alten“ einmal einen Zeitraum von über 250 Jahren umfassen. Die Kassetten können nach Anmeldung im Historischen Museum eingesehen werden; bei monatlichen Gesprächen in der Ausstellung gibt es Gelegenheit, die Zeitzeuginnen und Zeugen persönlich kennen zu lernen.

p(autor). Stephanie von Selchow

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. November 2007 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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