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Aktuell

1. Mai 2008

Strafarbeit: Null Bock gilt nicht

p(einleitung). Jugendliche, die kriminell werden oder häufig die Schule schwänzen, werden von Gerichten oft zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Doch es ist gar nicht so einfach, das zu organisieren. Im Evangelischen Verein für Jugendsozialarbeit kümmert sich eine Agentur um schwierige „Fälle“.

Es ist kurz vor zehn. Im „Haus der Stadtteilarbeit“ am Bügel wartet Diakon Paul Barth auf drei Jugendliche, die zu gemeinnützigen Arbeitsstunden eingeteilt sind. Eine Vierte hat heute Morgen kurzfristig abgesagt. Ihre Mutter wird operiert. „Das weiß sie natürlich auch nicht erst seit heute“, schimpft Barth. „Aber immerhin: Sie hat abgesagt. Manche tauchen auch einfach gar nicht auf. “

!(kasten)2008/05/seite03_oben.jpg(Wollten ihr Gesicht nicht in der Zeitung sehen: Maja, Mustafa und Abdul beim Müll Wegräumen. Wenn sie ihre gemeinnützigen Arbeitsstunden ableisten, werden sie vom Evangelischen Verein für Jugendsozialarbeit betreut. | Foto: Rolf Oeser)!

Diese Art von Ärger gehört zum Arbeitsalltag des 58-Jährigen, der seit über dreißig Jahren am Bügel lebt und arbeitet. Vor 25 Jahren hat er die „Frankfurter Agentur für gemeinnützige Arbeitsstunden“ unter dem Dach des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit gegründet. In diesem Rahmen sorgen Paul Barth und ein weiterer Sozialpädagoge dafür, dass Jugendliche, aber auch Erwachsene, die zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden sind, diese möglichst sinnvoll abarbeiten können und dabei sozialpädagogisch betreut werden.

Es ist Viertel nach zehn. Schnelle Schritte im Flur. Ein etwa 16 Jahre alter Jugendlicher, den sein weißes Kapuzenshirt ziemlich übernächtigt aussehen lässt, bleibt in der Tür stehen. „Mustafa*“, begrüßt Paul Barth ihn mit fester Stimme und scheint noch etwas größer zu werden. „Du kannst schon mal nach nebenan in den Gruppenraum gehen.”

Endlich erscheinen auch Abdul, dessen Eltern aus Afghanistan stammen, und Maja, eine kräftige, aggressiv wirkende 15-Jährige aus Bornheim. Kurze Einsatzbesprechung im Gruppenraum mit Sozialarbeiter Lutz Herbst, der die drei gleich im VW-Bus zum Jugendhaus Heisenrath in Frankfurt-Goldstein fahren wird. Es ist in einem alten Bunker untergebracht. Der Vorplatz liegt voller Müll, der entsorgt werden muss. Lutz Herbst wird die ganze Zeit über dabeibleiben.

„Drecksarbeit“, nennt Mustafa aus Griesheim die Aufräumarbeiten. „Wir sind doch nur billige Arbeitskräfte“, schimpft auch Abdul. Er lebt mit seiner Familie am Bügel und hat heute schon eine Nachtschicht am Frankfurter Flughafen hinter sich. Abdul hat Geld unterschlagen und muss 25 Sozialstunden ableisten. Nach der Tat hat er drei Monate auf das Gerichtsurteil gewartet. Sinnvoll oder gar gerecht findet er seine Strafe nicht. „Müll wegräumen hat doch gar nichts mit dem zu tun, was ich gemacht habe. Und außerdem kann ich vielleicht etwas ganz anderes. Warum setzt man uns nicht nach unseren Fähigkeiten ein?“

Maja ist heute zum ersten Mal dabei. Ein Jahr hat es gedauert, bis es zu ihrer Verhandlung kam. Zum ersten Vorladetermin war sie allerdings auch einfach nicht erschienen. „Mittlerweile habe ich schon beinah vergessen, was ich eigentlich getan habe.“

!(rechts)2008/05/seite03_unten.jpg(Paul Barth versucht, Jugendliche wieder „auf die Spur“ zu bringen. | Foto: Rolf Oeser)!

Das Jugendgericht sei überlastet, erklärt Paul Barth. Damit sich intensiver um die Jugendlichen gekümmert wird, hat er den Verein gegründet. Er nimmt sich Zeit für Gespräche mit jedem Einzelnen. Meist ist die Familiensituation nicht einfach, viele Jugendliche bleiben sich in ihrem Alltag selbst überlassen. Sie haben Probleme in der Schule und können keine eigene Lebensperspektive entwickeln.

„Es geht darum, den negativen Kreislauf zu durchbrechen“, erklärt Barth. „Das fängt damit an, dass man einen Jugendlichen ernst nimmt und respektiert und ihm oder ihr einen gewissen Vertrauensvorschuss gibt. Manche erleben das zum ersten Mal. Wenn man ihnen dann noch etwas Starthilfe gibt, wachsen sie regelrecht über sich hinaus.“

Der Diakon ist auch Fraktionsvorsitzender der SPD im Ortsbeirat, engagiert sich in der Schulsozialarbeit und als Sozialbezirksvorsteher. Er ist im Stadtteil gut vernetzt. „Wenn wir gemeinsam herausgefunden haben, was ein Jugendlicher will, kann ich auch mal ein Praktikum vermitteln, zum Beispiel in einer Autowerkstatt. Manchmal finde ich auch eine Lehrstelle. Oder eine Wohnung für einen erwachsenen Arbeitsstündler.“

Bernd ist 32. Er und der 18-jährige Tariq leisten ihre Arbeitsstunden immer donnerstags für die Nahrungsmittelhilfe „Frankfurter Tafel“ ab, die in der katholischen Gemeinde am Bügel Essen ausgibt. Zusammen mit den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dort sortieren sie das gespendete Obst, Gemüse und Brot, werfen Verschimmeltes weg und packen die frische Ware in Plastiktüten. Bernd arbeitet jeden Tag vier bis fünf Sozialstunden ab, er ist pünktlich und fleißig. Der Donnerstags-Einsatz gefällt ihm am besten: „Zwischen zwölf und drei Uhr kommen ungefähr 300 Leute zu uns, Obdachlose und Hartz-IV-Empfänger. Die brauchen das frische Zeug. Für manche reicht so eine Tüte eine ganze Woche.“

Zwischendurch geht Tariq im Garten hinter der Kirche eine rauchen. Dann ist er plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Paul Barth ist nicht sehr überrascht: „Tariq hat schon alle Drogen geschluckt, die man sich nur vorstellen kann“, erklärt er. „Seit ein paar Wochen nimmt er an einem Methadonprogramm teil. Regelmäßige Arbeit schafft er aber nicht. Darüber muss ich mit dem Richter reden.“

Kontinuierlicher Austausch mit Jugendrichtern, Gerichts- und Bewährungshelfern gehören zum Konzept der Agentur. „Paul Barth ist einer der wenigen, der uns online rückmeldet, ob und wie viele Stunden die Jugendlichen abgearbeitet haben“, sagt Gerichtshelfer Rainer Jone. „Oft überlegen wir auch gemeinsam, ob nicht andere erzieherische Maßnahmen, die das Jugendgesetz vorsieht, sinnvoller sind. Wie zum Beispiel Anti-Gewalt-Training, soziales Training oder ganz einfach Nachhilfe. Paul Barth hat schon so manchen Jugendlichen wieder auf die Spur gebracht.“

p(autor). Stephanie von Selchow

p(hinweis). * alle Namen geändert

h3. Nach Paragraph 10 des Jugendgerichtsgesetzes

…können Jugendliche zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt werden, wenn sie zum Beispiel wiederholt die Schule schwänzen, stehlen, erpressen, sich prügeln oder Drogen konsumieren – bis zu 80 Stunden können das sein. In Frankfurt haben die Gerichte im vergangenen Jahr 611 Jugendliche zu solchen Arbeitsstunden verurteilt, achtzig Prozent davon waren junge Männer. Die Zahlen sind seit einigen Jahren konstant. Allerdings werde es immer schwerer, auch geeignete Stellen zu finden, wo die verordneten Stunden abgeleistet werden können, sagt Gerichtshelfer Rainer Jone: „Vor allem für besonders schwierige Jugendliche, für Mehrfachtäter und die, die viele Stunden abarbeiten müssen, ist es schwierig.“ Neben Kirchengemeinden und städtischen Einrichtungen beschäftigen auch einige Krankenhäuser, Sportvereine und Kunstprojekte auffällig gewordene Jugendliche.

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Mai 2008 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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