Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

1. Juni 2008

Multikulti auf dem Prüfstand

p(einleitung). Seyran Ates und Micha Brumlik diskutierten in der Stadtakademie

„Positiven Rassismus“ sieht die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates in der linksliberalen Multikulti-Szene. Bei einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Stadtakademie am Römerberg verteidigte sie die These ihres Buches „Der Multikulti-Irrtum“: Vieles, was hierzulande als Begegnung der Kulturen firmiere, sei in Wahrheit „verniedlichende Folklorisierung“, so Ates. Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik widersprach. In Frankfurt habe es nie eine „Multikulti-Ideologie“ gegeben, wohl aber Beispiele dafür, dass unterschiedliche Kulturen friedlich zusammenleben können.

!(rechts)2008/06/seite12_unten.jpg(Diskutierten engagiert, wie die Integration verschiedener Kulturen am besten gelingt: Seyran Ates und Micha Brumlik, es moderierte Meinhard Schmidt-Degenhardt – Mitte. | Foto: Rolf Oeser)!

„Organisierte Verantwortungslosigkeit und gleichgültiges Laissez-faire“ warf Ates den Anhängern von „Multikulti” vor. Man versuche nicht, türkisch-muslimische und andere Einwanderinnen und Einwanderer wirklich kennenzulernen und genau hinzuschauen, was in ihren Kulturen vor sich gehe. Wer wisse schon, so Ates, dass es Eltern gebe, die ihren achtjährigen Töchtern die Haare scheren lassen, weil sie sich weigern, ein Kopftuch zu tragen? Wer informiere sich über die geschätzten zehn bis zwanzig Zwangsheiraten, zu denen muslimische Mädchen aus Berliner Schulen jedes Jahr in den Sommerferien gezwungen werden? Wer kenne die Lehrerinnen, die sich „wegducken“, wenn es um Sportunterricht oder Klassenreisen für muslimische Mädchen geht?

Sich gegen frauenfeindliche Traditionen zu wehren, sei völlig richtig, stimmte Brumlik zu. Er kenne aber auch unter „Linksliberalen“ keine nennenswerten Personen, die Ehrenmorde oder Zwangsverheiratung gutheißen würden. Schon gar nicht in einer Stadt wie Frankfurt, die 1989 das erste Amt für multikulturelle Angelegenheiten eingerichtet hat. Dessen Arbeit werde nicht von Ideologie, sondern eben gerade von den Idealen des „linksliberalen Bürgertums“ getragen.

Alles, was gegen das Grundgesetz verstoße, sei selbstverständlich inakzeptabel, so Brumlik. Da Kinder in Deutschland aber erst mit 14 Jahren religionsmündig sind, könnten die Eltern in Reli­ gionsdingen bestimmen: Streng muslimische Mädchen müssen Kopftuch, streng katholische Mädchen Röcke oder jüdische Jungen die Kippa tragen. Brumlik plädierte für einen „dünnen Integrationsbegriff“: Wer genügend Deutsch spricht, um sich „im normalen Umgang“ zu verständigen, wer einen Bildungsabschluss und einen halbwegs gut bezahlten Job hat und das Grundgesetz in den Grundzügen akzeptiert, sei integriert. Auf die Dauer müsse gelten: „Deutscher ist, wer hier geboren wurde.“

Ates fordert mehr. Integration müsse bedeuten, sich hier zu Hause zu fühlen – zum Beispiel indem mehrere Sprachen wie Deutsch und Türkisch gleichwertig als Muttersprachen nebeneinander stehen. Deutschland habe noch nicht „mit Herz und Kopf“ akzeptiert, dass es ein Einwanderungsland ist. So bekomme sie auch nach fast vierzig Jahren immer noch zu hören, dass sie „wirklich gut deutsch“ spreche, oder werde gefragt, ob sie in den Ferien nach Hause – sprich: in die Türkei – fahre. Auch aus solchen Gründen fühlten sich viele Zugewanderte in Deutschland immer noch fremd.

p(autor). Stephanie von Selchow

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Juni 2008 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+