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Eine Freundin von mir beobachtete kürzlich folgende Situation: Zwei Frauen warten an einer Bushaltestelle. Die eine, jüngere, raucht eine Zigarette. Die Ältere beschwert sich über den Rauch, der in ihre Richtung zieht. Daraufhin nimmt die Raucherin die Zigarette in die andere Hand, bläst den Rauch in die andere Richtung und zündet sich nach dem Aufrauchen auch keine neue mehr an. Eine schöne Geschichte, könnte man meinen, die zeigt, dass Menschen in der Lage sind, Konflikte friedlich zu regeln.
In Wahrheit hatte die Geschichte aber kein Happy End. Denn die beiden Frauen verwickelten sich umgehend in einen Streit zum Thema „Raucher gegen Nichtraucher“: Sie lieferten sich mit den altbekannten Argumenten ein Wortgefecht darüber, wer was darf und wer welche Rechte hat und wer der bessere oder schlechtere Mensch sei. Und bemerkten vor lauter Streit gar nicht, dass sie das Problem doch eigentlich längst gelöst hatten.
An diese Geschichte erinnerte ich mich bei dem Bericht über die Debatte zwischen Seyran Ates und Micha Brumlik über die Multikulti-Gesellschaft. Eigentlich liegen doch beider Meinungen gar nicht so weit auseinander. Wer würde ernsthaft bestreiten, dass multikulturelles Zusammenleben nicht heißen darf, über Verbrechen hinwegzusehen, die im Namen von Kultur oder Religion begangen werden? Und es ist doch auch Konsens, dass Integration nicht bedeutet, dass sich alle kritiklos einer deutschen „Leitkultur“ unterwerfen müssen! Wäre es deshalb nicht sinnvoller, die Aufmerksamkeit auf die konkreten Erfahrungen im Alltag zu richten – und vor allem auf jene, die positiv verlaufen – anstatt sich an der Frage festzubeißen, ob „Multikulti“ nun gut oder schlecht ist?
In der Wirtschaft ist ein solches Vorgehen längst üblich. „Best practice“ heißt die Vokabel: Statt theoretisch über Prinzipienfragen zu debattieren, wird konkret geschaut, wo und wie ein Problem bereits gelöst wird und ob man das nicht auch auf das eigene Unternehmen übertragen könnte.
Unsere politische Kultur ist leider von solch einer Philosophie weit entfernt. Das liegt wahrscheinlich auch an den vielen Fernseh-Talkshows, die nach dem Motto „Wir lassen zwei Streithähne aufeinander los“ konzipiert werden. Je knackiger und kontroverser die Standpunkte, um so interessanter, scheint man in den Redaktionen zu meinen. Erkenntnisse gewinnt man so aber nicht. Je aufgeregter wir uns in Pseudo-Streitereien verbeißen, desto weniger sehen wir, was im ganz konkreten Alltag tatsächlich hilft.
p(autor). Antje Schrupp