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1. Dezember 2008

Eine ganz normale Familie

p(einleitung). Familie sein – das ist heutzutage nicht einfach. Mama und Papa sollen alles in einem schaffen: Geld verdienen und Zeit für die Kinder haben, Erfahrungsräume eröffnen und Grenzen setzen, fordern und fördern. Wie haben das eigentlich Maria und Josef mit ihrem Jesuskind gemacht? Ist die „Heilige Familie“ auch heute noch ein Vorbild?

!(rechts)2008/12/seite07_rechts.jpg(Holger Wilhelm ist Pfarrer in der Gemeinde Hausen. | Foto: Ilona Surrey)!

Maria, Josef und das Jesuskind: Die „Heilige Familie“ wird in der christlichen Tradition bis heute hoch und heilig gehalten. Doch außer den Geschichten rund um Jesu Geburt erzählt die Bibel nicht viel über deren Familienleben. Und das, was in der Bibel zu lesen ist, sieht nicht immer so „heilig“ aus, wie vielleicht zu erwarten wäre.

Gerade an Weihnachten haben viele Familien an sich den Anspruch, dass alles perfekt klappen soll – und das ist ein ganz besonderer Stressfaktor. Nichts soll die Weihnachtsidylle stören. Jene Idylle, die von niemandem besser verkörpert wird als von dem „trauten hochheiligen Paar“ mit dem „holden Knaben im lockigen Haar“. Die christliche Tradition hat Maria, Josef und das Jesuskind zum Idealbild erhoben. Aber wie weit ist es eigentlich her mit der „Heiligkeit“ dieser Familie?

Die Bibel erzählt, dass Maria nicht von ihrem Verlobten Josef, sondern vom Heiligen Geist schwanger geworden sei. Das im biologischen Sinn zu glauben, fällt heute vielen schwer. Maria glaubte es. Aber schon Josef glaubte es, wie die Bibel erzählt, nicht – oder nicht so recht. Er trug sich durchaus mit dem Gedanken, seine nunmehr schwangere Verlobte zu verstoßen. Erst eine Engelserscheinung konnte ihn davon abhalten. Josef erscheint also schon nicht mehr ganz so „heilig“ wie Maria. In der biblischen Weihnachtsgeschichte ist er nur Statist – er sagt und tut nichts Besonderes. Er bleibt ein schweigsamer Mann, wie so viele Männer.

Als Jesus erwachsen ist, ist in der Bibel nur noch an wenigen Stellen von seiner Familie die Rede. Man erfährt, dass er Brüder und Schwestern hat. Auch Maria, seine Mutter, ist noch da. Aber von Josef – kein Wort mehr. Ist er schon gestorben oder hat er die Familie verlassen? Ließ die Arbeit ihm keine Familien-Zeit?

!(rechts)2008/12/seite07_unten.jpg(Heimelige Familienidylle: Maria näht, Josef tischlert, und der kleine Jesus spielt mit seinem Cousin Johannes. Diese Darstellung stammt von Bartolomé Murillo aus dem 17. Jahrhundert. | Foto: Yorck-Projekt)!

Heute kommt mir das blasse Bild von Josef immer noch vertraut vor. Noch immer leben wir in einer Welt, in der sich viele Väter der Erziehungsverantwortung entziehen, wenn es zu anstrengend wird oder wenn sie wegen ihrer Berufsarbeit kaum noch Zeit für Privatleben haben.

Einmal, so erzählt die Bibel, wollen Jesu Mutter und Geschwister zu ihm – aber Jesus schickt sie fort. Seine wahren Brüder und Schwestern seien jetzt seine Anhänger und Anhängerinnen, lässt er ihnen ausrichten. Die Familie ist ihm dagegen nicht mehr wichtig. Maria folgt dem Weg ihres Sohnes aber trotzdem. An den schicksalhaften Tagen rund um seinen Tod in Jerusalem ist sie dabei – und nun ignoriert Jesus sie auch nicht mehr. Das Verhältnis zwischen Sohn und Mutter scheint besser geworden zu sein. Von den Geschwistern hört man zu Lebzeiten Jesu sonst nichts. Erst nach seinem Tod und seiner Auferstehung ist ab und zu vom „Herrenbruder Jakobus“ zu lesen, der in der jungen Jerusalemer Christengemeinde offenbar eine wichtige Rolle gespielt hat.

Viel ist es also nicht, was die Bibel über die „heilige“ Familie berichtet: Sie erzählt von einer Mutter, die um die Beziehung zu ihrem erwachsenen Sohn kämpft. Sie erzählt von einem Vater, der scheinbar keine wesentliche Rolle spielt (und das, obwohl die Gesellschaft damals sehr männer- und väterzentriert war). Rührende Geschichten von einem heilig-trauten Familienleben Jesu sucht man jedenfalls in der Bibel vergebens.

Als Pfarrer und Familienvater finde ich es prima, dass die Bibel es gar nicht nötig hat, die Familie Jesu mit einem gekünstelten Heiligenschein zu versehen. Sie erzählt die Dinge so, wie sie waren. Nein, die Heilige Familie war nicht deshalb „heilig“, weil sie so toll und vorbildlich war. Sondern weil Gott sie geheiligt hat. Ich vermute, dass es einfach eine ganz normale Familie war. Mit Ecken und Kanten, mit Streit und Missverständnissen, mit emotionalen Verletzungen und Trennungen.

Aber auch so war sie gut genug für Gott, um sein Erlösungswerk für uns Menschen darauf aufzubauen. Wenn ich mir das vorstelle, kann ich etwas anfangen mit dieser „heiligen” Familie. Gerade weil sie gar nicht so ganz anders ist als meine eigene.

p(autor). Holger Wilhelm

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Dezember 2008 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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