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Aktuell

1. Dezember 2008

Freiheit nicht in Mode

p(einleitung). Religionsgespräch in der Stadtakademie

„Ihr seid ein Protestant!“ beschimpft der katholische König von Spanien Philipp II. in Schillers Don Carlos den Freiheitskämpfer Marquis de Posa. Gleichzeitig ist der König aber auch beeindruckt von der inneren Freiheit des Marquis und ernennt ihn zu seinem Minister. Zum Einstieg in das Frankfurter Religionsgespräch zum Thema „Freiheit, die ich meide“ führte das Theater Willy Praml in der Evangelischen Stadtakademie diese Schlüsselszene auf: Die durch nichts zu erschütternde innere Würde des Marquis kam dabei ebenso wortgewaltig und einprägsam zum Ausdruck wie der Versuch der Macht, nach ihm, der doch Abgeordneter des protestantischen Flandern ist, zu greifen.

Selbst Martin Luther sei zwar 1520 wegen seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ exkommuniziert worden, habe sich aber später dennoch mit den Fürsten ins Einvernehmen setzen müssen, um seinen „Impuls zu vergesellschaften“ und den Protestantismus zu etablieren, verdeutlichte Kirchenpräsident Peter Steinacker in der anschließenden Diskussion. Auf dem Podium war man sich einig, dass es heute sogar schwieriger geworden sei, freiheitlich zu handeln als zu Schillers Zeiten im 16. Jahrhundert oder auch noch 1968: Die Zwänge seien abstrakter, deshalb schwerer zu erkennen und noch schwerer zu bekämpfen.

Freiheit spiele im öffentlichen Diskurs keine Rolle mehr, kritisierte Leo Fischer, Chefredakteur der Satirezeitschrift „Titanic“. Die Hirn­ forscher behaupteten, dass es so etwas wie freie Entscheidung sowieso nicht gebe, und die Betriebswirtschaftler ordneten alles den Gesetzen des Marktes unter.

Die „Verbetriebswirtschaftung des öffentlichen Diskurses“ beklagte auch Elisabeth Abendroth vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Die protestantische Freiheitsvorstellung führe leicht zu einer Emigration in die Innerlichkeit, so ihre Kritik. Kirchenpräsident Steinacker wandte hingegen ein, dass die Ökonomisierung der Lebensverhältnisse kein unabänderliches Schicksal, sondern von freien Menschen gemacht sei. Er räumte aber ein, dass es Wirkungen von Freiheit gebe, die sich gegen die Freiheit stellen.

Der Soziologe Ulrich Oevermann fragte, warum so wenige Menschen heute öffentlich gegen Ungerechtigkeiten protestieren. Aus diesem Grund erlebe er die aktuelle Finanzkrise geradezu
als befreiend. Denn jetzt zögen nicht die Ökonomen den „Karren aus dem Dreck”, sondern die Steuerzahler – und wenn das ins Bewusstsein gelange, sei das ein Stück Rückgewinnung von Freiheit. Dann trauten sich vielleicht auch Hartz-IV-Empfänger einmal auf die Straße, um sich gegen Unwürdigkeit ihres Status zu wehren. Schließlich gebe es die Idee eines Grundeinkommens, das allen Bürgern zugestanden werden könne.

p(autor). Stephanie von Selchow

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Dezember 2008 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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