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Aktuell

1. Februar 2009

Angst trifft Ehrgeiz

p(einleitung). Am Ende des ersten Schulhalbjahres richtet sich der Blick vieler Eltern auf die Ziffern im Zeugnis ihrer Kinder: Reicht es für den Übergang ins Gymnasium? Klappt der Schulabschluss? Oder muss Nachhilfe her?

Inzwischen haben es wohl alle verstanden: Auf die Bildung kommt es an. In ungewisser Wirtschaftslage und bei bröckelnder sozialer Absicherung machen sich Eltern Sorgen, ob ihre Kinder später einmal ihren Weg machen. Kein Wunder, dass gute Schulnoten oberste Priorität haben.

Doch zuweilen nimmt die Bildungsbeflissenheit absurde Formen an. Wie bei jenem Mädchen aus der dritten Klasse, das vor Tests immer Panikattacken bekommt – weil es hin und wieder eine Drei schreibt. Zu schlecht, findet die Mutter, die schon einen fixen Plan für ihre Tochter hat: Sie soll studieren und Ärztin werden.

!(rechts)2009/02/seite04_oben.jpg(Immer schön brav lernen, denn wer schlechte Noten hat, kriegt später mal Hartz IV? Die Debatten um die Bildungs- und Wirtschaftskrise in Deutschland setzen immer mehr Kinder unter enormen Druck. | Foto: Destorian / fotolia.com)!

„Die Frage des Schulerfolgs ist oft ein Konfliktthema in Familien, vor allem bei den Übergängen von der Grundschule ins Gymnasium oder von der Schule in die Ausbildung“, sagt Michael Bourgeon vom Evangelischen Zentrum für Beratung und Therapie in Eschersheim. „Wir versuchen dann zu differenzieren: Ist das Kind überfordert? Oder halten es andere Konflikte davon ab, sich in der Schule zu konzentrieren?“

Vor allem in bildungsnahen Schichten sei der Druck heute enorm groß. „Die Eltern wollen, dass es den Kindern einmal besser geht. Doch das ist eigentlich gar nicht mehr möglich. Wir versuchen, dafür zu werben, dass die Kinder ihren eigenen Weg zum Lernen entwickeln können.“ Besonders problematisch sei der Druck bei Mädchen, die seltener als Jungen dagegen rebellieren, sondern sich eher noch mehr anstrengen.

Dabei könnten eigentlich gerade diese Eltern gelassen in die Zukunft sehen: In Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder, deren Eltern Abitur haben, auch selbst einmal Abitur machen, extrem hoch. Leider stimmt aber auch das Gegenteil: Kinder aus den so genannten bildungsfernen Schichten haben es sehr schwer, einen guten Schulabschluss zu bekommen.

Das liegt auch daran, dass die Schulen auf die Mitarbeit der Mütter am Nachmittag setzen. „Es ist praktisch unmöglich, dass Kinder ohne Hilfe ihre Hausaufgaben machen“, sagt Torsten Dänhardt von der Hausaufgabenhilfe in der Thomasgemeinde in Heddernheim. 35 Kinder aus der ersten bis zur sechsten Klasse bekommen hier Unterstützung. So haben sie vielleicht eine Chance, die Klassenschranken im deutschen Bildungssystem zu überspringen.

Am fehlenden Ehrgeiz liegt es jedenfalls auch bei ihnen nicht, ist Torsten Dänhardt überzeugt: „Die Kinder sind sehr stolz, wenn sie gute Noten haben. Schlechte Noten sind ihnen peinlich.“ Die Zeiten, als die Fünf im Zeugnis noch ein Zeichen für „Coolness“ war, sind offenbar vorbei. „Das kommt schon in Einzelfällen mal vor“, sagt Dänhardt, „aber das ist dann eher ein Abwehrmechanismus.“

Da lohnt es sich, trotz allem daran zu erinnern, dass ein schlechtes Zeugnis nicht unweigerlich in die biografische Katastrophe führen muss, sagt Michael Bourgeon. „Wir haben ja ein Bildungssystem, wo man auch mal eine Schleife ziehen kann.“ Besser, als Kinder zu Panikattacken zu treiben oder sie mit Beruhigungs- oder Aufputschmitteln vollzupumpen, ist das allemal.

p(autor). Antje Schrupp

h2. Wie entscheidend sind Schulnoten?

h3. Stefan Hausendorf (51), Vermögensberater

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Schulnoten sind eine Möglichkeit zur Lernerfolgskontrolle, für Schüler und Lehrer gleichermaßen. Für mich als Vater ist es wichtig, meinen Kindern zu vermitteln, dass schwache Noten nicht heißen, dass sie schlechtere Menschen sind. Sie müssen aber lernen, dass sie im späteren Berufsleben auch an Leistung gemessen werden. Je früher ein Kind mit dieser Tatsache fertig wird, desto besser. Meine große Tochter hat schon lange erkannt, dass sie für sich selbst lernt und bringt gute Ergebnisse nach Hause. Die Jüngere tut sich noch etwas schwerer. Aber Druck oder Angst um die Zukunft sind uns fremd. Ich bin davon überzeugt, dass meine Kinder beide ihren Weg machen. Was mir wichtig war: Meine Frau konnte zu Hause bleiben. Damit war ein geregelter Tagesablauf mit warmer Mahlzeit und Hausaufgabenbetreuung sichergestellt.

h3. Laura Weinhardt (18), Schülerin

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Mit den Noten steht man schon unter Druck, das ist ja klar. Wenn man ein gutes Abitur macht, kann man sich aussuchen, was man studieren will. Vor allem, wenn man, wie ich, auf die Europäische Schule gehen darf: Da gibt es dann auch viele Möglichkeiten im Ausland. Und in Deutschland gilt für viele Studienfächer der Numerus Clausus, da kommt es bei der Bewerbung nicht auf den Charakter an. Und das geht ja dann im Berufsleben erstmal so weiter. Wenn man eine schlechte Note schreibt, ärgert man sich und denkt sich, das hätte ich schon besser machen können, hätte ich doch mehr gelernt. Manchmal ist man in einer Klausur aber auch so aufgeregt, dass einem erstmal gar nichts einfällt. Und meine Eltern wünschen sich ja auch, dass ich gut bin, auch wenn sie das so nicht sagen. Ich will sie auf jeden Fall nicht enttäuschen.

h3. Johnney Zimmermann (54), Brauereibesitzer

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Noten sind auf jeden Fall gerechter und objektiver als schriftliche Beurteilungen. Da kann man klar sehen, wie jemand steht, ob er mehr lernen muss und ob er sich beim nächsten Zeugnis verbessert hat. Das ist für mich am klarsten, alles andere kommt danach. Es kann ja schon interessant sein, wenn ein Lehrer sagt, der ist intelligent, aber leider stinkfaul, vielleicht, weil er ein Schlüsselkind ist und ihm zuhause niemand hilft. Dann muss man den zum Lernen bringen. Und wenn jemand Klassensprecher war, heißt das doch, dass er gut mit Leuten umgehen kann. Das war zum Beispiel bei mir so. In der Schule war ich allerdings stinkfaul, das war für meine Mutter nicht gerade einfach. Sie kannte zum Glück einen Brauereibesitzer, bei dem ich einsteigen konnte. Ich habe mit vierzehn angefangen zu arbeiten und habe jetzt einen eigenen Betrieb.

h3. Karin Frindte-Baumann (64), Leiterin des Religionspädagogischen Amtes

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Gute Noten machen immer einen guten Eindruck, schlechte fordern zu Zweifeln heraus. Beides aber nur auf den ersten Blick, denn wird genauer hingeschaut, kann der Eindruck, den man durch ein schriftliches Zeugnis gewonnen hat, sich zum Schlechteren, aber auch zum Besseren wandeln. Bei Bewerbungen hat man mit guten Noten eher Chancen, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Jedoch können dann das Auftreten und die Schilderung des eigenen Werdegangs die Noten in den Hintergrund rücken. Gute Noten sind auch nicht nur Erfolg oder Versagen des Einzelnen , sondern die Schule muss so gestaltet werden, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler zu gleichen Chancen und guten Leistungen kommen können. Dass diese sich dann besser mit Worten bewerten lassen als mit sechs Ziffern, steht auf einem anderen Blatt!

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Februar 2009 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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