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Aktuell

1. Februar 2009

Aus der Geschichte Versöhnung lernen

p(einleitung). Spenermedaille für Ruhestands-Pfarrer Joachim Proescholdt

Als Joachim Proescholdt 1992 nach zwanzig Jahren als Stadtpfarrer an der Katharinenkirche pensioniert wurde, fühlte er sich voller Tatendrang. Historisch und kulturhistorisch interessiert, baute er ein Programm für das Evangelisch-lutherische Predigerministerium auf, das daraufhin aufblühte: Heute ist es ein Verein mit über 300 Mitgliedern. Für sein 16-jähriges ehrenamtliches Engagement wurde Proescholdt nun mit der Philipp-Jakob-Spener-Medaille des Evangelischen Regionalverbandes ausgezeichnet.

!(rechts)2009/02/seite02_oben.jpg(Foto: Rolf Oeser)!

Schon die von ihm verfasste Festschrift zum 300-jährigen Jubiläum der Katharinenkirche glich einem Gang durch die Kirchengeschichte. Sein Buch über Charles Crodel, der Fenster in großen Frankfurter Kirchen gemalt hatte und im Nationalsozialismus als „entartet“ galt, erschien 1988. Als Pfarrer im „Unruhestand“ organisierte er Studienreisen für bis zu fünfzig Personen: Mit Proescholdt konnte man die Romanik in Burgund, die Backsteingotik im Westerwald und später in Mecklenburg-Vorpommern, frühchristliche Mosaiken in Italien oder die Kaiserdome in Worms und Mainz kennenlernen.

In einem seiner jüngsten Projekte erforschte Proescholdt die Hintergründe von Emporenbildern der Katharinenkirche aus dem 17. Jahrhundert, die im Stadtarchiv wieder entdeckt worden waren; auch dazu erschien ein Buch. Sein historisches und kunsthistorisches Interesse steht immer in Zusammenhang mit einem vertieften Verständnis des Glaubens, „den Wurzeln, die uns tragen.“

Proescholdts lebhaftes Interesse an Geschichte rührt aus seiner Jugend im Nationalsozialismus her. 1927 als Sohn eines Offiziers in Leipzig geboren, wuchs er in Frankfurt-Praunheim auf. Er durchlief die Hitlerjugend, wurde als Gymnasiast Flakhelfer, musste zum Militär. Als Elfjähriger erlebte er, wie am 10. November 1938 die große jüdische Synagoge am Börneplatz brannte und jüdische Geschäfte auf der Zeil, im Steinweg und auf der Goethestraße geplündert wurden: „Ich war erschüttert, dass Feuerwehr und Polizei, damals für mich unanfechtbare Hüter der Ordnung, untätig daneben standen.“

Als 17-Jähriger in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Bad Kreuznach nahm Proescholdt an einer Art „Lageruni“ teil: „Wie ist Versöhnung mit den verfeindeten Völkern möglich? Das war die Frage, die alle beschäftigte.“ Jesu Bergpredigt mit ihrem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit wurde für ihn zur Entdeckung. Unmöglich, danach noch in die Fußstapfen des Vaters zu treten und Offizier zu werden. Proescholdt studierte Theologie. Nach 16 Jahren als Pfarrer in Rheinhessen wurde er 1972 an die Katharinenkirche berufen. Versöhnung und Verständigung blieben wichtige Themen. Proescholdt beriet Kriegsdienstverweigerer und fuhr mit Jugendlichen und Erwachsenen, später auch Mitgliedern des Predigerseminars nach Auschwitz, Birkenau und andere Orte der NS-Verbrechen. „Dabei waren mir insbesondere die intensiven, zutiefst erschütternden Berichte und Gespräche mit ehemaligen KZ-Häftlingen wichtig.“

Kurz vor seiner Pensionierung starb Proescholdts erste Frau Johanna ganz plötzlich. Acht Jahre lebte er alleine, bevor er Ursula Middelanis, die er in der Katharinengemeinde kennen gelernt hatte, heiratete. Zusammen haben sie 16 Enkel. „Mein Leben ist reich“, bilanziert der agile 81-Jährige. „Dafür bin ich dankbar.“

p(autor). Stephanie von Selchow

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Februar 2009 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe .

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