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Aktuell

1. Mai 2009

Die Personalfrage

p(einleitung). Bislang dürfen laut Kirchenrecht nur christliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer evangelischen Einrichtung arbeiten. Ist diese Regelung in einer multikulturellen Stadt wie Frankfurt noch zeitgemäß? Zum Beispiel in den Kindertagesstätten, wo inzwischen fast jedes dritte Kind dem Islam angehört?

Ausnahmen von der Regel gab es schon immer: Wenn sich keine geeigneten christlichen Fachkräfte finden, können evangelische Einrichtungen auch Konfessionslose oder Angehörige anderer Religionen einstellen. Gerade im Bereich der Kindertagesstätten könnte diese Ausnahme schon bald der Normalfall werden: Erzieherinnen sind nämlich zunehmend Mangelware – und ein Großteil der Absolventinnen gehört nicht mehr einer christlichen Kirche an, sondern ist konfessionslos oder muslimisch.

!(kasten)2009/05/seite03_mitte.jpg(Viel Platz zum Toben haben die Kids im neuen „Kinderhaus“ der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Niederrad, das im April eingeweiht worden ist. Für 1,2 Millionen Euro ist das ehemalige Gemeindehaus in der Gerauer Straße 52 zu diesem Zweck umgebaut worden. Gemeinde-Kita, Hort und Jugendräume sind nun unter einem Dach vereint. Die Kinder kommen, wie in den meisten evangelischen Kitas, aus vielen unterschiedlichen Nationen und Kulturen. | Foto: Rolf Oeser )!

Die Verantwortlichen in der Frankfurter Kirche drängen deshalb darauf, diese Herausforderung offensiv anzugehen. „Wir müssen die Bedingungen, unter denen wir nicht-christliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anstellen, offen diskutieren“, forderte Pfarrerin Esther Gebhardt, die Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, bei der jüngsten Tagung des hessen-nassauischen Kirchenparlaments im April. Anlass war die Diskussion über den Entwurf für ein neues Einstellungsgesetz, in dem dieses Thema nach wie vor nicht berücksichtigt ist. Die derzeitige Regelung hält Gebhardt für zu schwach, „weil sie die Träger nicht zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung zwingt.“

„Die Frage darf nicht sein, ob wir möglicherweise für unsere Kitas nicht genügend christliche Bewerberinnen finden“, bekräftigt auch Pfarrer Michael Frase, der Leiter des Diakonischen Werkes für Frankfurt, „sondern wir müssen das inhaltlich diskutieren: Ist es vor dem Hintergrund der großen Anzahl muslimischer Kinder in unseren Einrichtungen vielleicht religionspädagogisch sinnvoll, muslimische Erzieherinnen in die Teams aufzunehmen?“

Wobei Frase diese Frage nicht rhetorisch versteht: „Dass in einer Einrichtung fünfzig Prozent muslimische Kinder sind, ist für sich genommen noch kein Argument. Es geht nicht um eine Quote. Auch christliche Erzieherinnen können interreligiöse Toleranz vermitteln. Es müssen weitergehende Kriterien dafür formuliert werden, wann es sinnvoll ist, eine muslimische Erzieherin einzustellen und was man sich davon verspricht.“ Das könne zum Beispiel sein, „den Kindern, Eltern und Familien ein gutes Zusammenwirken von Christentum und Islam vorzuleben und zu praktizieren.“

Ein solches Konzept stelle aber hohe Anforderungen an die betreffende Person, „da ist für mich die Messlatte recht hoch“, betont Frase. Eine muslimische Erzieherin, die in einer evangelischen Kita arbeiten will, müsse ein integrierendes und liberales Bild vom Islam zeigen. „Keinesfalls bin ich bereit, darüber zu diskutieren, ob fünfjährige Mädchen mit ins Schwimmbad dürfen“, stellt Frase klar. Außerdem sei es wichtig, dass die Erzieherin offen ist für das Christentum und keine „abgrenzenden Signale“ sendet, die christliche Eltern verärgern oder irritieren könnten – dazu, so Frase, gehöre auch das Tragen eines Kopftuchs.

Dass die Anstellung muslimischer Fachkräfte keine Gefahr für die „evangelische Identität“ der Kitas darstellt, davon ist Pfarrer Andreas Hoffmann von der Petersgemeinde im Nordend überzeugt. „Unsere Qualität als kirchlicher Träger besteht ja gerade darin, dass wir mit anderen Religionen kompetenter und bewusster umgehen als manch anderer Träger.“

Im Kinderhaus der Petersgemeinde in der Bleichstraße sind schon länger zwei Musliminnen angestellt: eine Köchin und eine Erzieherin. „Wenn sie islamische Feste begehen, ist das nicht gespielt, sondern echt“, sagt Hoffmann. Bei den regelmäßigen Kinderhaus-Andachten in der Peterskirche hingegen gehe es bewusst „evangelisch“ zu – und die muslimischen Kinder werden als Gäste ausdrücklich begrüßt. „Es geht nicht um eine Vermischung der Religionen, sondern um das gegenseitige Kennenlernen. Die evangelische Identität leidet nicht darunter, sondern wird im Gegenteil sogar schärfer“, so Hoffmanns Erfahrung.

Dass dies auch den Bedürfnissen der Eltern entspricht, hat eine Studie des Diakonischen Werkes für Frankfurt ergeben: Sie zeigte nämlich, dass muslimische Familien ihre Kinder bewusst in christliche Kitas schicken, weil sie vermuten, dass sie dort eher als in städtischen Einrichtungen religiöse Werte vermittelt bekommen. „Das ist ein hoher Vertrauensbeweis für uns als Kirche“, betont Pfarrerin Gebhardt. „Dieser Verantwortung müssen wir uns mit guten religionspädagogischen Konzepten stellen.“

p(autor). Antje Schrupp

h2. „Nicht in Stereotypen denken“

Was bedeutet interkulturelle Pädagogik in Kindertagesstätten? Fragen an Sabine Kalinock, die zuständige Koordinatorin im Evangelischen Regionalverband Frankfurt.

Viele deutsche Eltern sind skeptisch, ob ihre Kinder in einer Kita mit einem hohen Anteil ausländischer Kinder gut aufgehoben sind. Zu Recht?

!(rechts)2009/05/seite03_oben.jpg(Foto Rolf Oeser)!

bq. Das kommt wesentlich auf das Team der Einrichtung an und wie es damit umgeht. Ein hoher Anteil von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte ist nicht für sich ein Problem, sondern nur, wenn das nicht pädagogisch begleitet wird. Interkulturelle Kompetenz ist heute wichtig, und es kann auch eine Chance sein, wenn Kinder früh Erfahrungen mit kultureller und religiöser Vielfalt sammeln. Hier ist auch die Stadt gefragt, den Personalschlüssel aufzustocken und Förderprogramme auszubauen.

Sie bieten dazu Fortbildungen für die Teams evangelischer Kitas an. Was ist dabei wichtig?

bq. Das Wichtigste ist, stereotype Vorstellungen nach dem Motto „die Muslime“ oder „die Türken“ zu hinterfragen. Das geht am besten, wenn die Mitarbeiterinnen sich bewusst sind, dass auch ihre eigene Kultur nichts Einheitliches und Statisches ist. Die meisten Konflikte, zu denen es im Alltag kommt, haben ganz andere Ursachen als die Nationalität oder die Religionszugehörigkeit.

Können Kitas zu einer besseren Integration beitragen?

bq. Die Frage ist, was wir unter „Integration“ verstehen. Oft steckt dahinter die Vorstellung, dass die eigene Kultur der alleinige Maßstab ist und nun Leute von außen kommen, die sich dem unhinterfragt anpassen sollen. Ich finde den Begriff „gleichberechtigte Teilhabe“ besser, denn er macht deutlich, dass es ein wechselseitiger Prozess ist.

Wie kann das konkret im Alltag aussehen?

bq. Zum Beispiel können Spielbereiche so gestaltet sein, dass sich Kinder aus verschiedenen Kulturen wiederfinden. Es gibt gute zweisprachige Kinderbücher, und die Puppen müssen nicht alle blond und hellhäutig sein. Wenn Geschichten erzählt werden, muss es nicht immer um Hans oder Anna gehen, sondern vielleicht auch um Ayse oder Jurij – und zwar ohne, dass das dann gleich wieder problematisiert wird. Vielfalt bezieht sich auch nicht nur auf Deutsche und Zugewanderte, sondern auf die Vielgestaltigkeit der Lebensformen insgesamt.

Wie schafft man es, dann nicht wieder in Stereotypen zu denken?

bq. Mit Neugier, Offenheit und Nachfragen, indem das Individuelle herausgestellt wird. Jedes einzelne Kind mit seiner besonderen Persönlichkeit und Geschichte sollte im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.

p(autor). Interview: Antje Schrupp

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Mai 2009 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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