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Aktuell

Von – 1. Juli 2009

Wer glaubt, trägt Verantwortung

Viele Vorschläge des Kirchenreformators Johannes Calvin klingen heute, angesichts wirtschaftlicher und sozialer Krisen, überraschend konkret. Am 10. Juli wird sein 500. Geburtstag gefeiert.

„Unseren Armen“, wie Calvin sie liebevoll nennt, müssen wir helfen, weil sie uns von Gott anvertraut sind. Im Geben, so schreibt er, lernen wir, uns nicht von unserem Besitz beherrschen zu lassen, sondern ihn zur Ehre Gottes einzusetzen. Calvin wollte im 16. Jahrhundert diesen Grundsatz in seinen Gemeinden, in Straßburg und Genf, in einer brisanten Situation umsetzen. Tausende von Flüchtlingen drängten damals in die beiden Städte und suchten Zuflucht vor den Repressalien des französischen Regimes.

In Genf gab es ebenso viele Flüchtlinge wie Einheimische – eine Situation, die heute kaum vorstellbar ist. Die jungen reformierten Gemeinden drohten an der Aufnahme und Integration der französischen Flüchtlinge zu zerbrechen. Deren Not, Krankheit und traumatische Erfahrungen trafen auf Fremdenfeindlichkeit und Ängste bei den zum Teil wohlhabenden eingesessenen Bürgern und den Obrigkeiten.

Calvin war selbst Glaubensflüchtling und als Prediger und Seelsorger in den Flüchtlingsgemeinden tätig. Er hat seine Überzeugungen an diesen Erfahrungen gewonnen und geschärft: Von Anfang an hat Gott sein Volk Israel für das Wohlergehen der Ärmsten – der Witwen, Waisen und Fremdbürger – haftbar gemacht. Umso mehr fordert er es jetzt von den Christen. Wer an Gott glaubt, darf Not, Ungerechtigkeit und Ungleichheit nicht übersehen. Und in Gemeinschaft, in der christlichen Gemeinde, kann verwirklicht werden, womit die Einzelnen überfordert wären.

Die Kirchenstruktur soll bei diesen Aufgaben helfen: Eine kollegiale Leitung soll die unterschiedlichen Gruppierungen und die Begabungen möglichst vieler einbeziehen. Diakonie gehört zum Wesen der Gemeinde. Christliches Handeln wie zum Beispiel das Teilen muss nach Calvin um der Bedürftigen Willen eingefordert werden – durch eine „Kirchenzucht“, die notfalls diejenigen vom Abendmahl ausschließt, die sich ihrer Verantwortung entziehen.

Auch über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machte sich der Reformator Gedanken. Zinsnehmen, so seine Überzeugung, darf nicht länger verpönt sein, solange es geregelt und überwacht wird. Denn Zinsen geben Anreize, Geld zu verleihen, und die Handwerker brauchen Produktionsdarlehen, um sich neue Existenzen aufzubauen. Die Bedürftigen wiederum brauchen Konsumdarlehen zum Leben. Diese müssen jedoch zinsfrei bleiben, und jeder soll geben, was er vermag. Eine Erbschaftssteuer soll Geld für soziale Aufgaben einbringen. Umgekehrt sollen die Flüchtlinge sparsam sein und geschickt investieren, damit die Hilfsbereitschaft nicht ausgenutzt wird und Kapital ins Gemeinwesen zurückfließt.

Diese Lösungsvorschläge sind höchst aktuell für Aufgaben, die uns heute noch bewegen: Migration und Integration, Ausgleich des sozialen Gefälles, Bankenaufsicht, gesellschaftlich geregeltes Teilen von Ämtern und Aufgaben, Verantwortung für die Schöpfung. Für alle diese Fragen suchte Calvin aus dem christlichen Glauben heraus Leitlinien.

Einiges klingt aus heutiger Sicht nach rigidem Moralismus, wie etwa die Vorstellung, das irdische Leben sei bestimmt durch Fleiß, Sparsamkeit und Gehorsam gegen Gottes Gebot, das ewige Leben durch Erwählung. Doch Calvins Texte zeigen einen frommen Menschen und warmherzigen Seelsorger, einen klugen Diplomaten und einen weitblickenden Kirchenmann, der es sehr ernst damit meinte, das soziale Umfeld nach dem Willen Gottes zu gestalten.

Bis heute hat die reformierte Theologie den Anspruch, aus der biblischen Botschaft heraus Stellung zu beziehen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen zu beziehen. Jeder und jede trägt in seinem und ihrem Alltag Verantwortung für das soziale Zusammenleben. Wer an Gott glaubt, kann nicht für sich allein bleiben, sondern wird die Gemeinschaft suchen. Und: Solange die Armut nicht besiegt ist, sind Verschwendung, Geiz und Gier Sünde.

 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juli 2009 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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