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1. September 2009

Bach bis Michael Jackson

p(einleitung). Yuko Tajima beschallt als „Carilloneurin“ den Römerberg

Körperlich wendig sollte man sein und nicht zu allzu groß, um die der Öffentlichkeit nicht zugängliche Treppe in der Alten Nikolaikirche am Römerberg zu besteigen, die auf den Turm führt. Wer sich über die engen Stufen schlängelt, wird dann aber zunächst einmal vom Dachbalkon des Gotteshauses mit einem grandiosen Blick über Frankfurts bekanntesten Platz belohnt. Und wer noch ein paar Schritte weitergeht, Richtung Glockenturm, und in dessen Inneres tritt, dem bietet sich die Gelegenheit, ein wirklich seltenes und schön anzuschauendes Instrument zu bewundern: das Glockenspiel, in der Fachsprache „Carillon“ genannt.

!(rechts)2009/09/seite06_rechts.jpg(Yuko Tajima entlockt dem Glockenspiel der Alten Nikolaikirche Melodien, die den ganzen Römerberg beschallen. Live zu hören ist sie jeden Mittwoch um 12 Uhr. | Foto: Joachim Schreiner)!

Es erinnert im Aufbau an eine ganz normale Orgel, bloß dass es keine Tasten aufweist, sondern klöppelartige Hebel, an denen Seile angebracht sind, die dann zu den höher gehängten Glocken führen. „Es gibt nur zwei Carillons in Hessen“, informiert die Carilloneurin der Gemeinde, Yuko Tajima, „außer diesem Instrument, das aus 47 Glocken besteht, noch eines an der Marktkirche in Wiesbaden. Insgesamt gibt es in Deutschland 40 Instrumente.“

Das erste Glockenspiel erhielt die Alte Nikolaikirche im Jahr 1939 von der Hofglockengießerei Franz Schilling Söhne in Apolda. Es war ein 35-stimmiges Instrument, das trotz der Rohstoffbewirtschaftung und des beginnenden Zweiten Weltkriegs Ende 1939 fertig gestellt werden konnte. Jedoch mussten schon 1942 die Glocken für Rüstungszwecke abgegeben werden. Die nach dem Krieg wieder zurückgekehrten Glocken wurden 1957 von der Heidelberger Glockengießerei F. W. Schilling für einen Neuguss verwendet. Die Spielautomatik wurde nun pneumatisch gesteuert.

Yuko Tajima, deren Spiel über den gesamten Römerberg gut zu hören ist, hat eine klassische Klavierausbildung absolviert und später ein Glockenspielerinnen-Diplom in Holland erworben. Die Niederlande ist überhaupt eine Hochburg des Glockenspiels und steht für den so genannten flämisch-romantischen Stil, der stark vom Tremolo geprägt ist. So erklärt sich auch der Aufdruck der Firma „Koninklijke Eijsbouts“ auf dem Instrument, eine Spezial-Glockengießerei mit Sitz in Amsterdam.

Die Musikliteratur, die Yuko Tajima spielt, geht quer durch die Jahrhunderte, reicht von speziell für das Instrument bearbeiteten Werken von Bach über Schuberts „Sah ein Knab ein Röslein stehen“ bis zu japanischen Kompositionen dieses Jahrhunderts. Der wohl am häufigsten gespielte Tondichter für das Carillon ist Staf Nees, Direktor einer niederländischen Glockenspiel-Hochschule. Der bekannte Choral „Dona nobis pacem“ indes ist das einzige Stück, das Tajima bei jedem ihrer „Konzerte“ am Mittwoch Mittag spielt. Wer hingegen am schwül-heißen Julianfang dieses Jahres über den Römerberg schlenderte, konnte seinen Ohren kaum trauen. „Heal The World“ und „We Are The World“ von Michael Jackson ertönten da klangschön, offensichtliche Hommagen an den kurz zuvor verstorbenen King of Pop.

Per Automatik erklingt das Glockenspiel täglich um 9.05, 12.05 und 17.05 Uhr.

p(autor). Joachim Schreiner

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. September 2009 in der Rubrik Kultur, erschienen in der Ausgabe .

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