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Aktuell

1. September 2009

Börsenguru als Reli-Lehrer

p(einleitung). Die Wirtschaftskrise ist auch im Schulunterricht Thema

Normalerweise sitzt Nigel Longley vor Computern und überwacht hochkonzentriert die Börsenkurse. Nun steht er vor den Oberstufenschülern und Oberstufenschülerinnen der Frankfurter Klingerschule und ist für zwei Stunden Lehrer – eingeladen von einer gemeinsamen Aktion der Ethik- und Religionskurse. Seit rund zwanzig Jahren ist der gebürtige Brite im Geschäft. Commerzbank, Deutsche Bank: Longley hat in London und Frankfurt bei den besten Adressen gearbeitet. Zurzeit ist er Direktor einer Investmentgesellschaft. Den gut vierzig Jugendlichen steht er Rede und Antwort zur Finanzmarktkrise. Denn die reicht längst bis in die Klassenzimmer.

!(kasten)2009/09/seite11_oben.jpg(Der Investmentbanker Nigel Longley diskutierte im Ethik- und Religionsunterricht der Klingerschule über die Finanzkrise. | Foto: Volker Rahn)!

Ist es die Gier, die die Menschen antreibt und die Ursache des gegenwärtigen Chaos in der Wirtschaft ist? Longley spricht lieber davon, für sein Unternehmen, seinen Chef, die Kunden und natürlich auch ein wenig für sich selbst das Beste herauszuholen. „Der Druck ist immens. Die Vorgesetzten erwarten alles.“ Wer dem nicht folgen wolle, dem werde im knallharten Bankgeschäft die Tür gewiesen. „Man kann natürlich jederzeit die Firma wechseln“, gesteht Longley ein. Nur ob es anderswo besser läuft, bleibe die Frage. Skeptisch ist der Finanzmann, ob sich am gegenwärtigen Wirtschaftssystem durch die Krise etwas ändert. „Die Menschen vergessen schnell.“

Darauf hofft Gunter Volz auf keinen Fall. Der Frankfurter Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung, der ebenfalls als Gastlehrer gekommen war, glaubt, dass das gegenwärtige Wirtschaftssystem auf „Gier in Form von Habsucht“ geradezu aufbaue. Doch fast alle Religionen geißelten reine Gier, so der evangelische Sozialexperte. Früher oder später „macht sie die Seele kaputt“. Es müsse nachhaltiger und verträglicher gewirtschaftet werden. Deshalb kommt es für Volz jetzt darauf an, „die Finanzmärkte weltweit so zu regulieren, dass die auf Gier beruhenden Anreizsysteme abgestellt werden“. Die Bibel habe gegen Unternehmensgewinne nichts einzuwenden, solange die Erträge zum Wohle aller investiert werden und nicht in den Taschen Einzelner verschwinden.

Man hätte an diesem Nachmittag im Klassenraum ein Centstück fallen hören können, so aufmerksam lauschten die Jugendlichen. Noch sei die Krise in ihrem Leben gar nicht richtig angekommen, sagten viele. Doch was, wenn sie in wenigen Jahren selber ins Erwerbsleben streben? Wie wird die Wirtschaft dann aussehen? Und wie ist das bis dahin mit der Gier?

Die kennen sie natürlich alle, wenn das neueste Musikabspielgerät beim Großmarkt billiger zu haben ist als beim Elektroladen um die Ecke. Die jungen Erwachsenen setzen auf die Vernunft und auf staatliche Reglementierungen samt harten Strafen, um der Gier Herr zu werden. Erst spät kommen sie darauf, dass auch jeder Einzelne mit seinem Kauf- und Arbeitsverhalten einen kleinen Beitrag leisten kann, um wirtschaftliche Katastrophen zu verhindern. Dennoch: Die „Generation Gier“ scheint im Angesicht des Wirtschaftsdebakels zur „Generation gerecht“ zu mutieren. Zumindest an diesem Nachmittag.

p(autor). Volker Rahn

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. September 2009 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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