p(einleitung). Die Zahl der Menschen, die an der Armutsgrenze leben, ist groß und wird durch die Finanz- und Wirtschaftskrise noch weiter steigen. Gleichzeitig explodieren die Einkommen der Topverdiener – die Kluft wird größer. Da reicht es nicht, wenn die Kirche Wundpflaster an die Armen verteilt. Sie muss sich auch politisch einmischen.
!(rechts)2010/02/seite07_rechts(Johannes Herrmann war zwei Jahrzehnte Pfarrer im Gutleutviertel. Im Januar wurde er in den Ruhestand verabschiedet. | Foto: Rolf Oeser)!
„Jeder fünfte Frankfurter ist arm“, so titelte vor einigen Wochen die Frankfurter Neue Presse. Die traurige Feststellung ist das Ergebnis einer Untersuchung der Fachhochschule: 18,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger fallen unter die Armutsgrenze. Das ist ein Skandal für eine wohlhabende Bankenstadt. Da müssten eigentlich sämtliche Alarm- und Kirchenglocken anfangen zu läuten!
Es gehört zu den ureigensten Aufgaben christlicher Kirchen, der Kluft zwischen Arm und Reich wirksam gegenzusteuern. Denn Gottesliebe und Nächstenliebe gehören zusammen. „Was ihr einem meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus im Matthäusevangelium. Und er ergänzt in der Bergpredigt: „Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden.“
Der Evangelist Lukas ist derjenige, der sich besonders um die Armen kümmert. Er zeigt einen Jesus, der sich der Schwachen und Ausgegrenzten annimmt und radikale Diskussionen mit den Wohlhabenden führt, etwa mit einem „reichen Jüngling“. Jesus stößt den Händlern im Jerusalemer Tempel die Tische um und redet besonders den Kirchenbeamten im Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“ ins Gewissen: Ein Priester und ein Tempeldiener lassen den unter die Räuber Gefallenen an der Straße liegen, während ein Samaritaner mutig zupackt und unbürokratische Hilfestellung leistet. Ich denke in diesen eisigen Wintermonaten dabei immer an Menschen ohne festen Wohnsitz, die Gott sei Dank vom städtischen Kältebus aufgesucht werden.
!(kasten)2010/02/seite07_unten.jpg(Kirchen sind traditionell Orte, wo Menschen ohne Wohnung im Winter Zuflucht, Wärme und Essen finden. Bei der diesjährigen „Winterspeisung“ im Januar in der Katharinenkirche an der Hauptwache beteiligten sich auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bank im Rahmen einer „Social Day“-Aktion. Pro Tag wurden hier mehrere hundert Gäste mit einem warmen Essen versorgt. | Foto: Rolf Oeser)!
Diese wenigen biblischen Beispiele zeigen, warum die Kirche sich unermüdlich um soziale Gerechtigkeit bemühen muss. Das ist von institutioneller Seite der Diakonie und Caritas in den letzten zwanzig Jahren auch in immer besser werdenden Hilfeeinrichtungen geschehen. In den Gemeinden lebt dieses Engagement durch Angebote wie der „Kaffeestube Gutleut“ oder der Winteraktion für Arme und Obdachlose in den Innenstadtkirchen.
Aber so notwendig diese Werke der Barmherzigkeit auch sind, sie reichen langfristig nicht aus. Denn Armut gebiert immer neue Armut, wenn die Ursachen nicht an der Wurzel gepackt werden. Wundpflaster zu verteilen, ist in der Tat eine wichtige Aufgabe der Kirchen. Ebenso wichtig ist es jedoch, öffentlich den Grund von Armut und Massenarbeitslosigkeit zu benennen: Nicht persönliches Fehlverhalten des Einzelnen, sondern ungerechte soziale Strukturen sind dafür verantwortlich zu machen.
Von den Kirchen kann dabei kein Patentrezept für die beste Wirtschaftspolitik erwartet werden, aber der Aufschrei nach Gerechtigkeit darf nicht verstummen. Kirchliche Verantwortungsträger sollten mutiger ihre oft angepasste politische Haltung verlassen. Kritische Positionen sind mehr denn je gefragt. Parteipolitik tut den Kirchen nicht gut, Parteinahme für Benachteiligte ist aber die Konsequenz aus der Nachfolge Jesu. Deshalb sollten die Kirchen auch in Zukunft gegen den Strom des angepassten Zeitgeistes schwimmen und strukturelle Veränderungen für soziale Gerechtigkeit einklagen, auch, wenn dadurch Kirchenaustritte drohen. Die Zeiten der Vertröstung auf eine bessere Gerechtigkeit im Jenseits sind vorbei. Die neue Gerechtigkeit ist uns von Gott hier und jetzt auf Erden verheißen: Was wir unseren geringsten Schwestern und Brüdern getan haben, das haben wir ihm getan. Das ist die gute Nachricht für 2010.
p(autor). Johannes Herrmann