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Aktuell

Von – 1. April 2010

Abschreiben gilt nicht

Die Autorin Helene Hegemann hat Teile ihres Romans aus dem Internet abgeschrieben. Wo endet die Inspiration und beginnt das Plagiat? „Evangelisches Frankfurt“ befragte Pfarrer und Pfarrerinnen. Schließlich müssen sie jede Woche eine neue Predigt schreiben. Wie verführerisch ist da der Klick auf Google?

So sieht im Idealfall die Entstehungsgeschichte einer Predigt aus: Montagmorgen den Bibeltext aus einem liturgischen Kalender heraussuchen. In ein Handbuch schauen, das in das theologische Grundproblem einführt. Am besten noch eine andere Bibelübersetzung zum Vergleich heranziehen. Die Woche über den Text im Hinterkopf behalten. Gespräche, Erlebnisse und Nachrichten daraufhin abklopfen. Stoff sammeln. Auf eine Eingebung hoffen. Freitag noch einmal gründlich nachdenken. Samstag schreiben. Und am Sonntag dann predigen.

Im Internet gibt es inzwischen ganze Predigt-Datenbanken. Mit einem Mausklick kann man sich hier die komplette Predigt für den nächsten Sonntag herunterladen. Doch in der Regel suchen Pfarrerinnen und Pfarrer hier nur Anregungen. Der Witz an einer Predigt ist ja, dass sie nicht nur gelehrt, sondern auch persönlich ansprechend sein soll. Foto: Rolf Oeser

Heutzutage greifen viele Pfarrerinnen und Pfarrer bei der Vorbereitung auch auf das Internet zu. Im Netz können sie Daten, Zitate, Gedichte oder Geschichten zum Thema „googeln“. Längst gibt es speziell dafür gemachte Internetseiten wie predigten.de. Und man kann wohl auch nicht ganz ausschließen, dass hin und wieder Teile der Predigt aus dem Netz abgeschrieben werden. Wenn die Woche sehr voll ist mit Terminen, Sitzungen und belastenden Gesprächen – ist der Gedanke nicht verführerisch? Zumal an normalen Sonntagen doch oft nur wenige Menschen in den Gottesdienst kommen?

Andererseits: Wer hat schon die Gelegenheit, auf der Kanzel zu stehen und den Leuten die eigene Sichtweise vermitteln zu können! Hinzu kommt, dass Predigt schreiben und Predigt halten noch einmal zwei ganz verschiedene Paar Schuhe sind. Da ist Flexibilität gefragt, denn vielleicht sind die Leute, an die eine Pfarrerin beim Schreiben der Predigt gedacht hat, gar nicht in den Gottesdienst gekommen, dafür aber andere, die sie kaum kennt. Oder auf den Kirchenbänken sitzt eine Mischung aus Seniorinnen, kichernden Konfirmanden, Studierten und Bildungsfernen – und alle wollen gleichermaßen angesprochen, manche vielleicht auch einfach nur gut unterhalten werden.

Eine Predigt zu halten ist kein einfaches Geschäft. Und dennoch ist sie der Kern des evangelischen Gottesdienstes. Sie bietet Trost und Zuspruch sowie Anregung zum Nachdenken. Sie setzt Widerhaken in eingeschliffene Gedankengänge oder bietet sogar Lebenshilfe. Wenn sie gut ist. Wie das gelingt, spielt letztlich gar keine so große Rolle – Hauptsache, dass.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. April 2010 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".

Kommentare zu diesem Artikel

  • Manfred Günther schrieb am 14. April 2010

    Das Foto, das die Autorin des Artikels zu ihrem Text gestellt hat, zeigt einen Bildschirm, der eine Predigt von mir in der Predigtdatenbank predigten.de aufgerufen hat. Das habe ich geradezu als Aufforderung verstanden, ein paar Gedanken zum Artikel zu äußern. Dabei gehe ich in der Reihenfolge vor, wie mir diese Gedanken in den Sinn kamen:

    1. Wieder einmal bleiben die AutorInnen von Predigten (und es sind ihrer viele!) mit ihren teils jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem Schreiben von Internetpredigten außen vor, werden nicht befragt und auf keine Weise in die Erörterung des Themas einbezogen. Die Erfahrungen der Autoren allerdings, die sie durch unzählige Rückmeldungen zu ihren Predigtangeboten gewonnen haben, würden ein völlig anderes Bild zeigen, als es der Artikel zeichnet. Zum Beispiel, was die Nutzung von Internetpredigten angeht: Diese werden durchaus nicht „in der Regel nur zur Anregung“ heruntergeladen, wie es die Bildunterschrift behauptet. Und von diesen Predigten als „nur gelehrt“ und von daher nicht „persönlich ansprechend“ zu reden, zeugt davon, dass sich die Verfasserin des Artikels mit den Predigten genau so wenig beschäftigt hat wie mit deren AutorInnen.

    2. Wenn ich meine persönlichen Erfahrungen zugrunde lege, erscheint der Artikel ziemlich sachfremd und mit nur geringem Bezug zur heutigen Wirklichkeit des „Predigthandwerks“, was ich im folgenden erläutere: Der Arbeitsdruck im Pfarramt (bei immer mehr Gemeinden bzw. Gemeindegliedern pro PfarrerIn und auch sonst gesteigerten Anforderungen) lässt die Woche über eine Beschäftigung mit dem Predigttext des kommenden Sonntags oft nicht mehr so zu, dass eine gute, ansprechende Predigt entstehen könnte. Darum ist es allemal besser und verheißungsvoller, sich in einem inzwischen recht großen Internetpool eine Predigt auszusuchen, die einem selbst gefällt, sie an die eigenen lokalen und gemeindlichen Gegebenheiten anzupassen, sie sich sprachlich und theologisch anzueignen und sie dann vor die Ohren der Gemeinde zu bringen. Das ist möglich und geschieht in jeder Woche und an jedem Sonntag tausendfach – allein in der EKHN! Und das ist auch angesichts der Arbeitsbelastung heutiger PfarrerInnen nicht ehrenrührig und erfüllt durchaus nicht den Tatbestand des „Klauens“. Um eine Predigt im Internet zu finden, „googelt“ heute auch kaum noch jemand. Längst haben viele PredigerInnen (das gilt auch für PrädikantInnen und LektorInnen) „ihren“ Autoren gefunden, gehen auf dessen eigene Seite oder holen sich sein Predigtangebot bei einem Predigtportal ab, einen Text, von dem sie wissen: Das ist auch meine Theologie, mein Anliegen und meine Sprache.

    3. Mit der nötigen „Flexibilität“ beim Halten einer Predigt hat die Frage, ob ich die Predigt selbst geschrieben oder von einem anderen übernommen habe, überhaupt nichts zu tun, die hat einer oder eine – oder hat sie nicht. Und warum soll eine Predigt, die ich aus dem Internet gezogen habe, nicht auf der Kanzel „die eigene Sichtweise“ vermitteln können?

    4. Noch ein Wort zu Ihrer Umfrage unter dem Artikel und dem davon vermeintlich gestützten Titel der Rubrik „Pro & Contra“, bei der – wie erläutert – schon die Fragestellung falsch ist: „Googeln Sie für Ihre Predigt?“: Ihren vier zur Internetnutzung befragten PredigerInnen stehen allein bei mir mehrere Tausend Abrufe jeder einzelnen Predigt in jeder Woche gegenüber. Das spricht deutlich gegen die Repräsentativität Ihrer Umfrage.

    5. Von wegen: „Abschreiben gilt nicht“! Steigt der Arbeitsdruck im Pfarramt weiter, wird Abschreiben bald der Standard der Predigtvorbereitung sein – und nicht zum Schaden der christlichen Predigtkultur.

    Manfred Günther