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Aktuell

Von , – 1. April 2010

Super-Vielfalt in jeder Hinsicht

„Super-Vielfalt“ nennt es das neue Integrations- und Diversitätskonzept: Menschen aus fast 180 verschiedenen Nationen leben in Frankfurt. Sie unterscheiden sich nach Staatsangehörigkeit, Rechtsstatus, sozialem Milieu, kultureller Herkunft – und nach Religion.

Noch immer ist das Christentum mit Abstand die größte Gruppe: Jeweils knapp 25 Prozent der Stadtbevölkerung sind evangelisch oder katholisch, weitere 7,5 Prozent orthodox, hinzu kommt noch eine unbekannte Menge an Menschen, die zu einer christlichen Gemeinschaft gehören, die nicht offiziell registriert wird. Das sind die Freikirchen, aber auch viele pfingstlerische und charismatische Gruppen. Sie stellen zusammen mit den Konfessionslosen fast 30 Prozent der Bevölkerung. Weitere 12 Prozent sind Muslime und gut 2 Prozent gehören anderen großen Religionen an.

Auch das Christentum ist in Frankfurt längst „multikulturell“ – wie man hier bei einem Gottesdienst der Hoffnungsgemeinde vor dem „Gerippten“ im Bahnhofsviertel sehen konnte. Foto: Rolf Oeser

Die Zahlen zeigen, dass sich in Frankfurt nicht „die Christen“ und „die Zugewanderten“ gegenüberstehen, wie viele meinen. Auch innerhalb des Christentums gibt es eine große Bandbreite.

„Vielfalt bewegt Christen und Christinnen“ hieß auch eine Veranstaltung, zu der die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen ins Haus am Dom eingeladen hatte. Frankfurt habe schon viel geschafft, dennoch sei Vielfalt nie einfach, sagte Integrationsdezernnentin Nargess Eskandari-Grünberg. Als Psychoanalytikerin wisse sie genau, wie viel Angst man vor dem hat, was man nicht kennt.

Wie breit die Palette christlichen Lebens in Frankfurt ist, zeigte das Podium: Der Politologe Frank Madrikan von der indonesischen Kristuskirchengemeinde erzählte vom Internationalen Konvent der christlichen Gemeinden Rhein-Main. Raza Wickerath hat eine litauische Samstagsschule in Frankfurt mit gegründet. Sie sagte, Integration könne nicht bedeuten, die eigenen Wurzeln zu vergessen. Die Studentin Maria Tortopidou aus der griechisch-orthodoxen Gemeinde wünschte sich einen Ort, wo sich Jugendliche aller Nationalitäten treffen und mischen könnten. Viel zu oft blieben die verschiedenen Gemeinden unter sich.

Die Kirchen seien „seit 2000 Jahren Integrationsexperten“ sagte Brigitta Sassin, die bei der Katholischen Stadtkirche Frankfurt für den christlich-islamischen Dialog zuständig ist. Auf die sozialen Probleme im Zusammenhang mit Migration wies Mariotte Hillebrand hin. Die katholische Ordensfrau arbeitet in der Maria-Hilf-Gemeinde im Gallusviertel. Die dortige integrierte Gesamtschule habe keine gymnasiale Oberstufe und genieße einen schlechten Ruf. Außerdem gebe es nur Standard-Deutschkurse, die den unterschiedlichen Sprachlernbedürfnissen der 130 Nationen, die allein im Gallusviertel leben, nicht gerecht würden.

Dass es aus christlicher Sicht besonders um soziale Integration gehen müsse, forderte Thomas Schmidt, der im Gallusviertel Priester ist, aus dem Publikum. Viele Migranten seien Hartz IV-Empfänger, aus dem Gallusviertel gingen prozentual weniger Kinder aufs Gymnasium.

„Erwartungen klar formulieren“

Pfarrer Michael Frase vom Diakonischen Werk zum Integrationskonzept

Michael Frase leitet das Diakonische Werk für Frankfurt. Foto: Ilona Surrey

Die diakonischen Einrichtungen der evangelischen Kirche haben täglich mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zu tun. Was halten Sie vom neuen Integrations- und Diversitätskonzept?

Ich finde gut, dass der Blick auf die heterogene Migrationsgesellschaft geöffnet wurde, also da­rauf, dass es nicht „die“ Migranten als einheitliche Gruppe gibt. Spannend finde ich auch, wie sich das in den Stadtteilen entwickelt, dass eine Mittelschicht entsteht, und dass viele Klischees gar nicht stimmen. Andererseits wurde der andere Bereich dadurch etwas ausgeblendet, dass es nämlich unter Migranten auch große bildungsferne Gruppen gibt, dass die Kinder in der Schule Abschlussprobleme haben. Da ist der statistische Zusammenhang doch ziemlich klar. Wenn etwa eine unserer Mitarbeiterinnen berichtet, dass sie Familien trifft, die seit 15 oder 20 Jahren in Frankfurt wohnen, aber noch nie in einem Museum waren oder außerhalb von Frankfurt, dann ist man schon verblüfft. Es ist durchaus noch einiges zu tun, was die Integration angeht.

Aber besteht nicht die Gefahr, diese Menschen durch ständigen Hinweis auf den Migrationsaspekt weiter zu stigmatisieren?

Dem könnte man gegensteuern, indem man mithilft, dass auch zum Beispiel aus dem muslimischen Kontext heraus sich Träger der Sozialarbeit organisieren. Eine Mitarbeiterin von uns im Quartiersmanagement in der Nordweststadt hat zum Beispiel einen Verein von muslimischen Frauen gegründet, die anfangen, Kinder zu betreuen. So kommen sie aus der reinen Klientenrolle heraus und gehen in die aktive Rolle des Sozialarbeiterischen hinein. Das bedeutet auch, dass sie sich öffnen müssen, indem sie zum Beispiel christliche Kinder oder Mädchen ohne Kopftuch aufnehmen. Das wirkt dann auch integrativ.

Eine Hauptthese des Konzepts ist die von der „Supervielfalt“, dass also nicht mehr eine Mehrheitsgesellschaft die „Fremden“ integriert, sondern dass es komplexe Wechselbeziehungen gibt.

Wir müssen in der Tat lernen, dass die anderen Religionsgruppen sich nicht mehr damit begnügen, dass wir sie tolerant aufnehmen, sondern eine viel deutlichere Erwartungshaltung entwickeln. Auch wir in der evangelischen Kirche haben den Dialog bisher eher von der Warte einer sicheren Mehrheit aus geführt. Unser Selbstbild war, dass wir die anderen zwar dazubitten, aber im Grunde den Diskurs bestimmen. Ein Beispiel: Wenn Kitas muslimische Mitarbeiterinnen einstellen wollen, gibt es meistens pragmatische Gründe, weil keine christliche Mitarbeiterin gefunden wird. Aber dann kommt als legitimierendes Argument dazu, dass die Bewerberin kein Kopftuch trägt, dass sie mit in den Gottesdienst kommt und so weiter. Etwas provokativ gesagt, suchen wir so etwas wie den protestantischen Muslim, einen ganz bestimmten Typus, der letztlich genauso ist wie wir, nur eben dem Islam angehört. Solche Erwartungen könnten wir klarer formulieren und daraus Kriterien, zum Beispiel für Bewerbungsgespräche, entwickeln.

Welche Probleme stellen sich denn im Alltag?

Beispielsweise haben wir in den Krabbelstuben muslimische Mütter, die fordern, dass wir schon Einjährige getrennt nach Mädchen und Jungen wickeln. Da müssen wir uns dann die Frage stellen, was eigentlich unser eigenes, christliches Menschenbild ist und unsere Vorstellung vom Verhältnis der Geschlechter. Wo sind pragmatische Lösungen angemessen und wo steht unser Selbstverständnis in Frage? Ich persönlich denke, dass wir auf religiöse Forderungen nicht bloß pragmatisch antworten sollten, sondern in unseren Reaktionen selbst eine religiös begründete Haltung vermitteln.

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 1. April 2010 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".