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Von – 1. April 2010

Loslassen und sich aufrichten

Eine Frau sitzt alleine vor einem Grab und weint. Mit diesem Bild beginnt eine der schönsten Auferstehungsgeschichten der Bibel. Der Ostermorgen ist nicht von Anfang an strahlend und hell. Am Anfang stehen die Tränen der Verzweiflung, der Einsamkeit und der Trauer.

Eine Frau sitzt alleine vor einem Grab und weint. Das ist ein anrührendes Bild. Seit es Menschen gibt, weinen Frauen an den Gräbern ihrer Männer, ihrer Kinder. Sie weinen um all die Liebe, die Gesten, die Gespräche, die sie sich noch gewünscht hätten und die es nicht mehr geben wird. Oft genug hat ein gewaltsamer Tod dem Leben ein Ende gesetzt, durch Krieg oder Hunger oder auch durch schwere Krankheit.

Mit ihren Tränen versuchen Frauen, die Leere zu füllen, die durch den Tod entstanden ist. In allen vier Evangelien der Bibel ist von Frauen die Rede, die da sind und da bleiben, wenigstens „von ferne“. Sie begleiten den sterbenden Jesus. Am Morgen nach dem Sabbat machen sie sich auf den Weg zum Grab, um den Leichnam mit wohlriechenden Ölen zu salben. Das gehört dazu – und ist gefährlich: Der jüdische Historiker Flavius Josephus berichtet, dass die Römer Menschen, die über den Tod eines so Hingerichteten weinten, ebenfalls gekreuzigt haben.

Matthäus erzählt von zwei, Markus und Lukas von drei Frauen, die um Jesus getrauert haben. Jedes Mal erwähnt wird Maria aus Magdala. Im Johannesevangelium wird sie zudem ausdrücklich als erste Zeugin der Auferstehung genannt. Maria Magdalena macht am Grab eine bestürzende Erfahrung von Verlust und Trauer: Das Grab ist leer. Den lebenden Freund hat sie schon verloren, und nun ist nicht mal mehr der tote da.

„Frau, was weinst du?“ fragen erst zwei Lichtgestalten in der Grabhöhle, dann noch einmal Jesus selbst, wie Johannes schreibt. Zweimal muss sie sich umwenden, bis sie ihn erkennt, als er sie mit ihrem Namen anspricht. Kann das möglich sein? Sie geht auf ihn zu, will ihn umarmen, festhalten. „Halte mich nicht länger fest, lass mich los!“ sagt ihr der Auferstandene. Loslassen – die Zeit des Menschen Jesus, den sie gekannt hat, ist vorbei. Und die Geschichte der Menschen, die ihm nahe waren, beginnt noch einmal neu.

Diese Bauernmalerei vom Anfang des 18. Jahrhunderts zeigt trauernde Frauen unterm Kreuz. Foto: Rainer Öttel / epd-Bild

Die Auferstehungsgeschichte ist auch eine Geschichte vom Loslassen. Weise Menschen aller Zeiten raten schon immer, sich beizeiten im Loslassen zu üben: die Hände zu öffnen und herzugeben, was wir letztlich doch nicht halten können. Loslassen von Lebensplänen, die sich nicht erfüllen, von Dingen, die wir nicht wirklich oder nicht mehr brauchen, von Kindern, die als Erwachsene eigene Lebenswege gehen, von Menschen, die gestorben sind. „Wir haben uns glücklich geschrumpft“, titelt die Frauenzeitschrift Brigitte: „Jedes Zuviel belastet uns wie ein echtes Zuwenig und kostet Energie und Lebensfreude.“ Wer festhält an dem, was seine Zeit, sein Leben gehabt hat, hält nicht am Leben fest, sondern holt den Tod ins Haus, ist nicht mehr offen für Neues, für Veränderungen, für neue Erfahrungen. Die Ostergeschichten lehren uns zu unterscheiden zwischen dem Toten und dem Lebendigen, zwischen dem, was zu begraben ist, und dem, was Leben spendet.

Im Griechischen, der Sprache des Neuen Testaments, bedeutet das Wort, das für die Auferstehung Jesu verwendet wird, „aufrichten“ – es wird auch in anderen Erzählungen verwendet, in denen Jesus kranke Frauen heilt und „aufrichtet“. Maria aus Magdala, die anderen Frauen und später auch die männlichen Jünger werden selber aufgerichtet, kommen heraus aus ihren Verstecken und gehen aufrecht. Sie haben eine neue Aufgabe, nämlich weiterzusagen: Er ist nicht tot, Gott hat ihn auferweckt!

Wir alle buchstabieren das Loslassen und Auferstehen in unserem Alltag nach, oft in kleiner Münze. Aber auch das kann ein Anfang sein.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. April 2010 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Gunda Höppner ist Pfarrerin in Niederrad.