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Von – 1. Juli 2010

Liebe oder Gewohnheit

Warum die meisten Ehen heute immer länger halten

Wenn frisch Verliebte auch in der Öffentlichkeit nicht voneinander lassen können, so wird das als normal empfunden. Niemand stößt sich daran, dass junge Leute Küsse austauschen und Händchen halten. Anders ist das bei sehr alten Menschen. Wenn ein 80- oder 90-jähriges Paar Hand in Hand geht, wenn es sich gar in der Öffentlichkeit küsst, so ist schnell von „rührend“ oder auch etwas herablassend „niedlich“ die Rede. Warum eigentlich? Was ist so außergewöhnlich daran, dass Menschen auch im hohen Alter noch zeigen, dass sie einander lieben? Liegt es daran, dass sich junge Menschen nicht vorstellen können, dass Liebe bis ins Alter hält?

Viele ältere Paare schützt das „emotionale Band“ von Harmonie, Liebe und Geborgenheit. Foto: Fotolia

Diese Frage hat Barbara Hedtmann in ihrer Zeit als Gemeindepädagogin immer wieder beschäftigt. „Mir ist alles begegnet“, sagt sie, „von Eheleuten, die über die Jahrzehnte ein ‚junges’ Paar geblieben sind, bis hin zu Paaren, bei denen es besser war, sich auch im hohen Alter noch zu trennen“. Das Trauformel „bis dass der Tod euch scheidet“ werde im allgemeinen von alten Menschen sehr ernst genommen, sagt Hedtmann, die jetzt für die Erwachsenenbildung und die Seniorenarbeit im Evangelischen Regionalverband zuständig ist. Aber für sie stelle sich auch immer die Frage: „Welche Wertvorstellungen sind die Grundlagen solch langer Ehen?“

Denn Tatsache ist: „Langjährige“ Ehen gibt es immer mehr. Auf der anderen Seite kann man davon ausgehen, dass von allen heute geschlossenen Ehen jede dritte innerhalb von 25 Jahren geschieden werden wird. Ein Widerspruch? Nur scheinbar. Dass es immer mehr 40 und mehr Jahre andauernde Ehen gibt, liegt vor allem an der signifikant gestiegenen Lebenserwartung der Menschen. Und wenn ein Drittel aller Ehen geschieden werden, heißt das ja auch, dass immerhin zwei Drittel der Ehen „halten“.

Das war auch das Thema einer Vortragsreihe und eines Seminares an der Universität des dritten Lebensalters (U3L) an der Frankfurter Goethe-Universität. Barbara Hedtmann hat zusammen mit Silvia Dabo-Cruz, U3L-Geschäftsführerin, das Konzept entwickelt. Studien oder empirische Erhebungen dazu suchten sie allerdings vergebens. Zwar fanden sie eine Vielzahl von Untersuchungen, die nach den Gründen für Scheidungen fragen oder neue Partnerschafts- und Beziehungsformen erforschen. Lang andauernde Ehen dagegen haben die Wissenschaft bisher wenig interessiert. Und so bleibt zunächst die Statistik, um sich dem Thema zu nähern. Danach ist die Ehe zumindest unter älteren Menschen kein Auslaufmodell (siehe Kasten).

Eine goldene Hochzeit ist heute fast nichts Besonderes mehr. Wenn diamantene und eiserne Ehejubiläen gefeiert werden können, wirft das die Frage nach der Ausgestaltung dieser gemeinsam erlebten Zeit auf: Längst machen die Jahre der Kindererziehung, also die eigentliche Familienzeit, nicht mehr den größten Teil des Zusammenlebens aus. Vielmehr leben die Paare nun über lange Jahre zu zweit, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Ein „Monogamieanspruch“ wie nie zuvor, formuliert die Soziologin Rosemarie Nave-Herz.

Die Menschen bleiben also im Alter zusammen. Aber warum? Nave-Herz macht im wesentlichen zwei Gründe aus und findet dafür die wissenschaftlichen Begriffe Systemkohäsion und Zwangskohäsion. Übersetzen kann man das verkürzt mit „Liebe“ und „Gewohnheit“. Zwar hat die Wissenschaftlerin lediglich 20 Menschen befragt, die mehr als 40 Jahre verheiratet sind. Doch entspricht das Ergebnis dem, was viele Menschen aus eigener Beobachtung kennen: Es ist das „emotionale Band“ von Liebe und Harmonie, Geborgenheit und Gemeinsamkeit, auch Stolz auf gemeinsam Erreichtes, das Mann und Frau verbindet. Oder eben: wirtschaftliche Abhängigkeit, Gewohnheit und Angst vor Einsamkeit.

Wussten wir das nicht schon immer? Die Soziologin Ute Gerhard, einst erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Geschlechterforschung, hat genauer hingeschaut und nach dem vorherrschenden Bild von Ehe in unserer Gesellschaft gefragt. Es ist die konservative Ehe nach christlich-abendländischer Tradition mit strikter Rollenverteilung: Der Mann ernährt die Familie, die Frau führt den Haushalt und erzieht die Kinder. Das war nicht immer so. Noch Ende des 19. Jahrhunderts hätten maximal zehn Prozent der Bevölkerung in Beziehungen gelebt, die diesem Idealbild entsprachen, sagt Gerhard. Dagegen habe nach dem Zweiten Weltkrieg das „Goldene Zeitalter“ der bürgerlichen Ehe begonnen. In staatlichen Normen ist sie bis heute verankert: etwa im bürgerlichen Gesetzbuch, im Grundgesetz (Schutz von Ehe und Familie) und im Steuerrecht (Ehegattensplitting).

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick in die Kirche. Noch 1950, so Gerhard, habe die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) das letzte Entscheidungsrecht des Mannes in der Ehe vehement verteidigt. Und selbst im Jahr 1968 habe sich die EKD-Kammer für Ehe und Familie nicht auf eine einheitliche Denkschrift einigen können. „Zu groß waren die Gegensätze“, sagt Gerhard, die damals selbst in dem Gremium mitgearbeitet hat.

Gleichwohl haben die 68er und der daraus folgende tiefgreifende strukturelle und kulturelle Wandel ihre Folgen gehabt. Die sozialen Bewegungen jener Zeit hätten zu einer Demokratisierung der Verhältnisse und auch der Partnerschaften geführt, sagt Gerhard. Sie warnt aber auch: „Alternative Lebensformen schaffen nicht automatisch gerechtere Formen des Zusammenlebens.“ Das heißt: Auch in der WG oder unter unverheirateten Paaren trägt unter Umständen immer die gleiche Person den Mülleimer runter – und ärgert sich drüber.

Alle, die in einer Gemeinschaft leben, müssen sich anstrengen, wollen sie gerecht, frei und damit auch zufrieden miteinander leben und alt werden. Und weil das Thema Pflege immer wichtiger wird, je älter die Menschen werden, plädiert sie für eine „Demokratie fürsorglicher Praxis“, in der eben nicht nur die Hausarbeit und Erziehung, sondern auch die Pflege für andere vorgesehen ist.

Die Ehe ist tragfähig

Verheiratet sein ist im Alter immer noch der häufigste Familienstand, vor allem bei Männern.

80 Prozent der 65- bis 75-jährigen Männer sind verheiratet. Ledige bzw. Geschiedene fallen kaum ins Gewicht.

Bei Frauen sieht es etwas anders aus, ist bei ihnen doch das Verwitwungsrisiko ungleich höher. Sind bei den 65- bis 70-Jährigen noch über 65 Prozent verheiratet, so sind es bei den über 80-Jährigen nur noch rund 20 Prozent. Aber auch bei den Frauen liegt in dieser Altersgruppe die Zahl der Ledigen und Geschiedenen unter zehn Prozent. Der Hauptgrund dafür ist die höhere Lebenserwartung der Frauen, zumal sie oft auch noch jünger als ihre Ehemänner sind.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juli 2010 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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