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Von – 1. Oktober 2010

„Der Sozialstaat nützt allen“

Frankfurter Diakonie feierte in der Paulskirche 100 Jahre

Die geplante Erhöhung des Regelsatzes von Hartz IV um nur fünf Euro ist für Kirchenpräsident Volker Jung „kein ermutigendes politisches Zeichen“. Ein so niedriger Satz werde „der schwierigen Lebenssituation der Betroffenen nicht gerecht“, sagte der Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau beim Festakt zum 100. Bestehen der Frankfurter Diakonie Anfang Oktober in der Paulskirche. Die evangelische Kirche werde nun „sehr genau darauf achten“, wie das geplante Bildungspaket aussieht, das Kindern ärmerer Familien eine soziale Teilhabe ermöglichen soll.

Feierten 100 Jahre Diakonie in Frankfurt: Kirchenpräsident Volker Jung, Regionalverbands-Vorsitzende Esther Gebhardt, der Festreder Julian Nida-Rümelin und Pröpstin Gabriele Scherle - von rechts nach links. Foto: Rolf Oeser

Mit einigen „Legenden des Sozialstaats“ setzte sich der Festredner des Nachmittags, der Philosoph und frühere Staatsminister Julian Nida-Rümelin, auseinander. So sei es falsch, zu glauben, es ginge beim Sozialstaat darum, dass die Bessergestellten für die Armen sorgen. Sein Prinzip sei eher das einer „kollektiven Versicherungsagentur“: Alle verpflichten sich, gemeinsam für Situationen vorzusorgen, in denen die einzelnen nicht für sich selbst sorgen können. Das sei dies effektiver als die private Versicherungswirtschaft. „Wir alle haben etwas davon“, betonte Nida-Rümelin. Auch diejenigen, die wirtschaftlich erfolgreicher seien als andere, hätten das nur zum Teil ihrer eigenen Leistung zu verdanken, und zu einem anderen Teil der Gemeinschaft, die ihnen durch Erziehung und Chancen die Möglichkeiten dazu biete. Daher hätten sie auch die Verpflichtung, die Erträge dieses Erfolges fair zu verteilen.

In der Zugehörigkeit zu einer solidarischen Gesellschaft sieht Nida-Rümelin den Kern der Demokratie. Die deutsche Nation sei letztlich gemeinsam mit den Bismarck’schen Sozialgesetzen entstanden. Es gehe darum, die Würde und Autonomie der Einzelnen zu gewährleisten. „Wir müssen alle ein Interesse daran haben, dass niemand zum Bittsteller wird“, warnte Nida-Rümelin. Für problematisch hält der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Philosoph Tendenzen, soziale Verantwortung von staatlichen und institutionellen Strukturen zu lösen und in private Communities oder Familien zu verlagern: „Dann fühlen sich die Menschen auch eher ihren Communities zugehörig, als dass sie sich als Bürgerinnen und Bürger verstehen.“

Den großen Beitrag der Kirche zum Sozialstaat würdigten der Präsident des Hessischen Landtages, Norbert Kartmann, und der Frankfurter Stadtkämmerer und Kirchendezernent Uwe Becker. Eine der großen Herausforderungen für die Stadt es, die Bildungschancen von Kindern zu verbessern, so Becker. Mit den Kirchen und freien Trägern habe man sich daher in Frankfurt das Ziel gesetzt, Krabbelstubenplätze für fünfzig Prozent der Unter-Dreijährigen zu schaffen. Becker dankte dem Evangelischen Regionalverband, dass er die Frankfurter Kindertagesstätten jedes Jahr mit Millionen bezuschusst.

Die Vorstandsvorsitzende des Regionalverbandes, Esther Gebhardt, erinnerte an die Entstehung des diakonischen Engagements in Frankfurt vor hundert Jahren. Damals wurde der erste Sozialarbeiter eingestellt. „Verkündigung und praktische Hilfen sind zwei Seiten einer Medaille“, bekräftigte die Pfarrerin.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Oktober 2010 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.