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Von – 1. Oktober 2010

Meryem bricht aus

Hebbels „Maria Magdalena“ neu inszeniert

Wohin es führt, wenn Konventionen schwerer wiegen als das Wohl der eigenen Tochter, hat Friedrich Hebbel in seinem Drama „Maria Magdalena“ nachgezeichnet: Seine Protagonistin Klara wird von ihrem Verlobten erst zum Beischlaf erpresst, dann geschwängert, und schließlich schmählich verlassen. Am Ende bleibt ihr nur der Sturz in den Brunnen: Ihr Freitod soll dem Vater die Schande ersparen.

Wie frappierend schlüssig sich das 1846 uraufgeführte Trauerspiel in die Gegenwart übersetzen lässt, zeigt Regisseur Alexander Brill derzeit in der Jugendkulturkirche Sankt Peter. Hebbels Stück lieferte seinem „Theater Peripherie“ den Stoff für eine fesselnde Inszenierung.

Im kleinbürgerlichen Umfeld des 19. Jahrhunderts prallten die Lebenswirklichkeiten der Generationen ebenso unversöhnlich aufeinander, wie sie das heute in vielen Familien mit Migrationshintergrund tun: Eltern klammern an zerbröselnden Werten, die Angst davor, was andere sagen könnten, wird zur verbindlichen Moralinstanz, eine hoch gehaltene Tradition legt dem Nachwuchs erbarmungslose Fesseln an.

Brills Produktionen führen auf packende Weise die Zerrissenheit entwurzelter Existenzen vor Augen. Das liegt nicht zuletzt an dem multikulturellen und multireligiösen Ensemble. Mit großer Kraft und Authentizität und stets auch mit Witz spielen die Darstellerinnen und Darsteller Situationen, die sie aus eigener Erfahrung kennen. In „Legal – Maria Magdalena“ leidet man unweigerlich mit, wenn Meryem zunehmend verzweifelt, wenn die Mutter aus Kummer stirbt, wenn Sohn Murat eine ihm unbekannte Heimat glorifiziert, weil das „Kanacken-Etikett“ fest an ihm haftet.

Man begreift auch, warum der Vater eine Welt nicht mehr versteht, die seine einstigen Überzeugungen zunichte macht. So wie die die Bühne umhüllende Frischhaltefolie im Laufe des Abends immer mehr zerfetzt, legen die Akteurinnen und Akteure jene Mechanismen bloß, die den Schutzraum Familie zum erstickenden Gefängnis werden lassen.

Anders als Hebbel gewährt Brill seiner Hauptfigur jedoch eine Perspektive. Meryem bricht aus, um in einer anderen Stadt ihr Kind großzuziehen. Es ist ein Ende mit Zuversicht und ein Verweis, dass Konventionen keinen Anspruch auf Ewigkeit besitzen.

Weitere Aufführungen in der Jugendkulturkirche Sankt Peter, Bleichstraße 33, sind am 27. Oktober sowie am 4., 23. und 30. November, jeweils um 19.30 Uhr, am 30. November auch um 11 Uhr. Informationen unter www.theaterperipherie.de.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Oktober 2010 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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