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Von , – 1. Dezember 2010

Warum die Stadt Kirchen besitzt

In Frankfurt gehören die alten Innenstadtkirchen nicht der Kirche, sondern sind Eigentum der Stadt. Das bedeutet, dass diese auch für ihren Bauunterhalt aufkommen muss. Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte.

Das alte Deutsche Reich wurde im frühen Mittelalter als Weltreich verstanden, in dem sich das Christentum verwirklicht. Der deutsche Kaiser war gleichzeitig Schutzherr der Kirche, was zu engen Beziehungen zwischen Staat und Kirche führte. Die Bischöfe von Köln, Mainz und Trier wurden Kurfürsten, ihre Bistümer „Kirchenstaaten“ im Deutschen Reich.

Trotz neuer Hochhäuser prägen die alten Kirchengebäude das Frankfurter Stadtbild – hier der Turm der Dreikönigskirche in Sachsenhausen. Nach einer Reihe von Säkularisierungswellen, bei denen kirchliches Eigentum in den Besitz des Staates und der Kommune überging, gehören die alten Innenstadtkirchen bis heute der Stadt. Den Kirchen werden sie zur Nutzung überlassen. Foto: Rolf Oeser

Später konnten Kirchen Schenkungen entgegen nehmen und so eigenes Eigentum erwerben. Kirchen-, Altarstiftungen und anderes vermehrten in Frankfurt das Vermögen der Kirche bis zum Jahr 1500 so, dass ihr etwa ein Drittel des Grundbesitzes gehörte, der dazu noch steuerfrei war. Viele Menschen waren bei der Kirche verschuldet, was einer der Gründe für die soziale Sprengkraft der Reformation war.

Mit der Reformation lösten sich die Klöster auf, und das Kirchenvolk wurde evangelisch. Neuer Besitzer der Klöster und Kirchen mit dem dazu gehörigen Vermögen wurde jedoch nicht „die evangelische Kirche“. Man unterschied damals nicht zwischen Christengemeinde und Bürgergemeinde. Es waren die Landesherren und die Räte der Reichsstädte, die über die Reformation entschieden, und das taten sie für die Untertanen mit. Das kirchliche Vermögen ging also auf den Staat über. Neben den weiter existierenden katholischen „Kirchenstaaten“ gab es nun eine evangelische „Staatskirche“. Viele Landesherren nutzten die Gelegenheit, um sich einen Teil des Kirchenvermögens selbst anzueignen.

Diese Welle der Verweltlichung (Säkularisation) von Kirchengut blieb nicht die einzige in der Geschichte. Mit dem Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete, ging ebenfalls eine Reihe von Bistümern samt Vermögen in weltlichen Besitz über. „Die Säkularisation“ im engeren Sinne erfolgte dann im Jahre 1803 mit der Auflösung des alten Deutschen Reiches. Da das linke Rheinufer seit 1801 zu Frankreich gehörte, wurden den deutschen Staaten, die dadurch geschädigt wurden, die katholischen Reichstände und die meisten Reichsstädte zugeschlagen. Die „Kirchenstaaten“ wurden aufgelöst. Darüber hinaus durften die Fürsten generell über Klöster und Stiftungen in ihrem Bereich verfügen. In Frankfurt verlor die katholische Kirche auf diese Weise drei Stifte, ein Kloster, 120 Häuser, 5400 Morgen Land, 75 Morgen Weinberge (in Hochheim), wertvolle Kunstschätze sowie Geldforderungen und Bargeld an die Stadt.

Mit der Aufklärung begann im 19. Jahrhundert dann auch ein Prozess der Trennung von Staat und evangelischer Kirche, die aber erst mit dem Wegfall der Monarchie im Jahre 1918 die volle Eigenständigkeit erhielt. In diesem Prozess regelte die Freie Stadt Frankfurt im Jahr 1830 vermögensrechtliche Fragen der beiden großen Kirchen in so genannten Dotationsurkunden. Da Frankfurt damals ein eigener Staat war, gelten sie bis heute als Landesrecht fort.

Kern der Dotation ist die Verpflichtung der Stadt, die alten Innenstadtkirchen, die ihr seit der Reformation gehörten, den beiden großen Kirchen kostenlos zum Gebrauch zu überlassen und sie baulich zu unterhalten. Auf evangelischer Seite sind das nach einigen Veränderungen heute die St. Katharinenkirche, die St. Peterskirche, die Dreikönigskirche, die Alte Nikolaikirche und das Dominikanerkloster mit der jetzigen Heiliggeistkirche.

Auch der nationalsozialistische Staat hat kirchliches Vermögen an sich genommen und vorgehabt, den Kirchen nur noch den Besitz von Sakralgebäuden zu erlauben. Man sieht die wiederkehrenden Versuche „des Staates“, sich kirchliches Vermögen anzueignen.

„Es geht um das Image Frankfurts“

In der Diskussion über Staatsleistungen an Kirchen kann die katholische Kirche selbstbewusst darauf verweisen, was ihr im Lauf der Geschichte alles genommen wurde. Und die evangelische Kirche kann argumentieren, dass es hier um altes Kirchenvermögen geht, auf das sie einen Anspruch hat.
Beide dürfen aber auch fragen, welche Bedeutung die zentralen Kirchengebäude für die heutige Stadtgesellschaft haben. Sind sie nicht in jeder Hinsicht Orientierungspunkte? Kirchen prägen das Stadtzentrum und den Charakter der Stadt mit. Sie schaffen Atmosphäre und dienen dem Wohlgefühl derer, die sich im Stadtzentrum aufhalten. Sie sind Identifikationsorte und dienen der Kommunikation und Besinnung. Sie werben für Frankfurt. Sie nehmen also eine überragende öffentliche Funktion wahr.

Ist es da nicht recht und billig, dass die Stadt ihren finanziellen Beitrag dazu leistet? Schließlich genießen auch unterschiedlichste andere Organisationen städtische Förderung, wenn es um das Image der Stadt geht.

Architekt: „Bedarf an religiösen Stätten wird steigen“

Die Dornbuschkirche ist ein Beispiel für gelungene zeitgemäße Kirchenarchitektur. Foto: Rolf Oeser

Die Lutherkirche im Nordend und die Jakobskirche in Bockenheim zu Zentren umzubauen, in denen mehr als bloß Gottesdienst stattfindet, oder die Peterskirche als Jugendkulturkirche zu nutzen – diese in jüngster Zeit realisierten Projekte sind für den Kirchenbauexperten Thomas Erne wegweisende Beispiele für eine „urbane Kirche im Wandel“. Bei einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Stadtakademie nannte der Direktor des Instituts für Kirchenbau der Evangelischen Kirche in Deutschland auch die „intelligent geschrumpfte Dornbuschkirche“ als eine beeindruckende Lösung. Indem die Kirche halbiert wurde, habe das gesamte Gebäude gewonnen.

Erne hob hervor, dass die evangelische Kirche in Frankfurt schon lange gemeinsam mit Architekten nach konstruktiven Wegen für eine zeitgemäße Kirchenarchitektur suchte. Das sei nicht immer leicht, wie die Proteste gegen den Abriss der Matthäuskirche gezeigt hätten. Solche Debatten machten deutlich, wie sehr auch kirchenferne Menschen Sakralbauten noch immer als einen „Schatz“ begreifen, „der allen gehört“.

Es gebe „aber auch scheußliche Kirchen, die niemand mehr braucht“, stellte Erne klar. Die Menschen suchten heute eher eine „heilige Atmosphäre“ und keine multifunktionalen Gemeindezentren, wie man sie in den 1970er Jahren gebaut hat. Für Metropolen wie Frankfurt sagte Erne eine Tendenz zu weniger Gemeindekirchen voraus. Stattdessen werde der Bedarf an weniger eng definierten religiösen Stätten steigen. Dass Menschen heute ihre religiöse Orientierung weitgehend frei von sozialem Druck wählen können, sei eine welthistorisch einmalige Situation. Statt engem Konfessionalismus hat der Kirchenbauexperte deshalb eher „Orte der gepflegten Vielfalt“ vor Augen. Solche zu schaffen, sei eine Herausforderung für Architekten.

Pfarrerin Esther Gebhardt, die Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, will Kirchen in der Stadt als religiöse Zeichen bewahren. Zwar gebe es aus evangelischer Sicht keine „heiligen Räume“, und es spreche theologisch nichts dagegen, Kirchen abzureißen, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Dennoch seien Kirchen „emotional noch immer stark besetzt“. Nicht nur Kirchenmitglieder interessierten sich dafür, was aus ihnen wird. Deshalb sollte auch öffentlich darüber nachgedacht werden, was mit Kirchengebäuden geschehen soll.

Das würde auch der Stadtverordnete Stefan Majer von Bündnis90/Die Grünen begrüßen, der zugleich auch Mitglied im Vorstand des Evangelischen Regionalverbandes ist. Kirchliche Gebäude bereicherten die Stadtteile, betonte Majer. Das von der evangelischen Kirche im neuen Westhafenviertel errichtete Haus mit Seniorenwohnungen, Kindertagesstätte und Gottesdienstraum sei zum Beispiel einer der wenigen Begegnungsorte dort. Im neuen Stadtteil Riedberg hingegen sei eine Chance vertan worden. Es sei zwar schön, dass hier eine neue evangelische Kirche gebaut wurde, ein gemeinsam mit der katholischen Kirche konzipiertes „ökumenisches Zentrum“ wäre aber besser gewesen, sagte Majer.

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 1. Dezember 2010 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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