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Von , – 1. Februar 2011

Beobachtungen am Hauptfriedhof

Die Bestattungskultur verändert sich – und nicht immer zum Guten

Es gibt Leute, die pressen die Asche Verstorbener zu Diamanten oder schießen sie mit einer Rakete ins All. Mit derartigen Fällen war Pfarrer Wolfgang Löbermann bei seinen Recherchen zwar nicht konfrontiert. Aber der wach­sende Markt privatisierter Bestattungsformen bereitet ihm Sorgen. Als evangelischer Pfarrer legt er Wert darauf, eine klar christliche Bestattung mit Talar, Bibelworten, Trauergottesdienst und Aussegnung zu feiern. Nach dreizehn Dienstjahren in der Nicolaigemeinde im Ostend hat er schon rund 400 Beisetzungen geleitet. Irgendwann verspürte er das Bedürfnis, seine eigene Praxis einmal zu überprüfen.

Pfarrer Wolfgang Löbermann nahm sich im vergangenen Herbst drei Monate Auszeit von der Arbeit in der Nicolaigemeinde im Ostend und erforschte die heutige Trauerkultur am Frankfurter Hauptfriedhof. Foto: Rolf Oeser

Während eines dreimonatigen Studienurlaubs beobachtete der Theologe, was am Frankfurter Hauptfriedhof geschieht. Beim „Blick über die Schultern“ von 25 Kolleginnen und Kollegen nahm er zugleich sich selbst ins Visier. Obschon er durchaus verbesserungswürdige Stellen entdeckt hat, fällt sein Fazit insgesamt erfreulich aus: „Pfarrerinnen und Pfarrer vollbringen gute Arbeit.“

Umso mehr bedauert Löbermann, dass nur wenig bekannt sei, was die Kirche in Punkto Beerdigung „zu bieten“ hat. Von Pfarrerinnen und Pfarrern werde oft erwartet, dass sie einfach das ausführen, was die Angehörigen sich wünschen. Im Vergleich zu anderen professionellen Rednern und Rednerinnen fielen die weiteren Angebote der Kirchengemeinden wie Sterbebegleitung, Totenwache, Aussegnung und Trauerbegleitung häufig unter den Tisch.

Aufgefallen sind Löbermann vor allem zwei Entwicklungen: Einerseits gebe es einen Trend zur „möglichst kostengünstigen und pflegeleichten Bestattung“ ohne großen Aufwand. Er vermutet, dass so das Thema Tod verdrängt und quasi „technisiert“ werden soll. Auf der anderen Seite boome aber der Hang zu aufwändiger und individueller Gestaltung, der nicht selten in „exzentrische Ansinnen“ münde. Eine Kollegin sei zum Beispiel mit dem Wunsch konfrontiert worden, während der Trauerfeier Filmsequenzen der verstorbenen Person auf eine Leinwand zu projizieren.

Auch die Vorstellungen davon, was man bei einer Beerdigung tut (und was nicht) hätten sich sehr verändert. Es sei keine Ausnahme mehr, wenn Leute sich auf dem Weg von der Trauerhalle zum Grab laut unterhalten, rauchen oder sogar telefonieren. Offenbar wissen nur noch wenige, dass im Verständnis der evangelischen Kirche dieser Weg eine Prozession ist, also Teil des religiösen Rituals, und nicht einfach ein Ortswechsel – übrigens ist es die einzige evangelische „Prozession“, die es gibt.

Dass für das Abschiednehmen auf dem Hauptfriedhof die Trauerhalle den Angehörigen nur kurz zur Verfügung steht, kann Löbermann hingegen akzeptieren. In einer Metropole sei der Zeittakt eben eng gesteckt, und daher müssten die Friedhofsangestellten nach rund zwanzig Minuten bereits Blumen und Kränze für den nächsten Verstorbenen drapieren. Doch dieser Zeitraum reicht nach Löbermanns Erfahrung in der Regel aus. Problematisch werde es nur, wenn bei einer größeren Trauergemeinde jeder Gast nochmals kurz am Sarg verweilen möchte, weil der Verstorbene kremiert und die Urne zu einem späteren Zeitpunkt beigesetzt wird.

Alles in allem hat der Studienurlaub dem Pfarrer zwar tieferes Wissen in Sachen Bestattungskultur, aber auch eine Menge offener Fragen beschert. Unter anderem die, wie die Kirche sinnvollerweise mit Beisetzungen im Friedwald umgehen soll: Der Pfarrerin der Gemeinde, aus der der Verstorbene kommt, seien keine siebzig Kilometer Anfahrtsweg zuzumuten, aber der Pfarrer vor Ort könne die Vielzahl an Bestattungen nicht bewältigen.

Der Theologe warnt davor, den privaten Bestattungsunternehmen „das Feld zu überlassen“. In seinen auf rund fünfzig Seiten zusammengefassten Studienergebnissen plädiert er dafür, in Frankfurt ein evangelisches Trauerzentrum einzurichten und ausgebildete Trauerbegleiterinnen und -begleiter stärker zu vernetzen. Er regt auch an, über die Gründung eines kirchlichen Bestattungsunternehmens nachzudenken.

Die Auseinandersetzung mit Begräbnispraktiken, Ritualen und Trauerfeierliturgie führte Löbermann vor Augen, dass Pfarrerinnen und Pfarrer in Trauerfällen nach wie vor „einen enormen Vertrauens- und Kompetenzvorschuss“ genießen – selbst bei Nichtkirchenmitgliedern. Nach Ansicht des Theologen sollte man das viel stärker ins Blickfeld rücken. Gute Trauergottesdienste seien schließlich für die Kirche eine „wichtige Form der Werbung“.

Virtueller Friedhof – Trauerarbeit im Internet

Die Idee ist frappierend: Eines oder einer Verstorbenen virtuell zu gedenken. Keine Friedhofsgebühren, kein teurer Grabstein, keine echten Blumen, kein Zwang zur Grabpflege. Und zudem immer und von überall via Internet erreichbar. Für alle Welt einsehbar und auf ewig gespeichert. Kein Wunder, dass virtuelle Friedhöfe boomen.

www.memorta.com, ein aus den USA kommendes Internetportal, entstand schon in den 1990er Jahren und hat sich inzwischen auch in Deutschland etabliert. Es ist unbekannt, wie viele dieser Portale mit wie vielen Online-Gräbern es inzwischen gibt. Der nach eigenen Angaben größte Anbieter „ememorial“ behauptet, 170.000 Einträge zu haben.

Auf stilisierten Grabsteinen wird der Verstorbenen gedacht. Meist kann man nicht nur Bilder hinzufügen, sondern virtuelle Blumensträuße aufstellen oder eine Kerze anzünden. Dies wirkt optisch, gerade wenn es auf dem Bildschirm noch blinkt und flackert, oft ein wenig bizarr, geradezu kitschig. Und doch wird hier ernsthaft getrauert. Etwa wenn die Enkelin der Oma Gedichte postet. Oder wenn die Familie an Heiligabend einträgt: „Alles ist vorbereitet und wieder sehr feierlich, doch leider ist es ein Fest ohne dich. Unser Gesang wird nicht so klingen wie mit dir.“

Während sich die meisten Portale weltanschaulich neutral geben, firmiert www.geh-den-weg.de als interreligiöser Friedhof für Christen, Muslime und Buddhisten. Kurzinformationen über unterschiedliche Bestattungsbräuche und die Jenseitsvorstellungen ergänzen das Portal. Auch wenn die Hintergrundmusik Geschmackssache ist, überzeugt die Seite durch die Klarheit der Gestaltung. Auch Bilder und Filme können eingestellt werden.

Dagegen ist www.internet-friedhof.de ein schlechter Tipp. Nicht nur, weil die Seite grafisch schlecht gemacht ist und Werbung enthält. Gästeeinträge können hier auch ungefiltert Negatives enthalten. So wird etwa von der mit 23 Jahren verstorbenen Carolin Ebert alias „Sexy Cora“ aus der RTL-Show Big Brother gesagt, es geschehe ihr recht, „wenn sie hin ist“. Im realen Leben wäre das wohl unter Grabschändung einzusortieren.

Reihe über Tod und Endlichkeit

Mit dem Tod beschäftigt sich im März eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Endlichkeit“ in der Evangelischen Stadtakademie am Römerberg 9.

Der Tod geht online – Wie verändert sich durch virtuelle Trauerräume im Internet die Sterbekultur? Darüber spricht Reiner Sörries vom Museum für Sepulkralkultur in Kassel am Donnerstag, 3. März, um 19.30 Uhr.

Kinderbücher – Unter dem Titel „Die besten Beerdigungen der Welt“ spricht der schwedische Autor Ulf Nilsson darüber, wie er in seinen Kinderbüchern mit diesem schwierigen, aber wichtigen Thema umgeht: am Mittwoch, 23. März, um 19.30 Uhr.

Der Tod und die Kunst – „Lebens(w)ende“ heißt ein Dokumentarfilm, in dem Razvan Georgescu den Maler Jörg Immendorf, den Videokünstler Bill Viola und den Broadway-Komponisten William Finn portraitiert. Er wird am Montag, 4. April, um 19.30 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs gezeigt, mit Diskussion.

Sterben ist Mist – aber der Tod ist schön: Unter diesem Motto haben die Literatin Gabriele Wohmann und der Theologe Georg Magirius ihre „Träume vom Himmel“ in einem Buch zusammengetragen. Sie stellen es am Dienstag, 19. April, um 19.30 Uhr vor.

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 1. Februar 2011 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.