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Aktuell

Von , – 17. März 2011

Keine Ausreden!

Gehört Schummeln und Tricksen dazu? Muss man Verständnis haben, wenn einer den Lebenslauf ein bisschen zurechtschönt? Wie viel Ehrlichkeit kann man sich in der heutigen Zeit überhaupt leisten? Das diesjährige Motto der evangelischen Fastenaktion „Sieben Wochen ohne Ausreden“ lädt zur Probe aufs Exempel ein.

Nachdem herausgekommen war, dass der Politstar und inzwischen Ex-Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg seine Doktorarbeit zu großen Teilen bei anderen abgeschrieben hatte, diskutierte ganz Deutschland darüber, was Aufrichtigkeit und Verantwortung bedeuten. Und die Nation war gespalten.

Für die einen ist Guttenberg ein Betrüger, der sich aus Eitelkeit einen Doktortitel zusammengeschummelt hat. Und der, als man ihm auf die Schliche kam, alles nur häppchenweise zugab, immer grade so viel, wie sich ohnehin nicht mehr abstreiten ließ. Für die anderen hingegen ist zu Guttenberg ein sympathischer Mensch, der einen dummen Fehler gemacht hat, den man ihm ruhig verzeihen kann. Zumal er ihn ja längst eingesehen hat.

Dieser Konflikt zeigt, in welchem Dilemma man sich beim Thema Ehrlichkeit oder Ausreden befindet. Denn beide Haltungen sind letzten Endes unbefriedigend. Bei der „harten Linie“ bleibt kaum ein Spielraum für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern. Wer erwischt wird, ist raus, zumal alle möglichen neidischen Mitmenschen ja in einer Konkurrenzgesellschaft wie der unsrigen nur darauf warten, es ihren Gegnern mal so richtig zu zeigen und deren Fehler zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen.

Aber auch die nachgiebige Linie ist unbefriedigend. Denn wenn aus Fehlern keine Konsequenzen folgen, wenn es reicht, einfach „Entschuldigung“ zu sagen und dann wieder zur Tagesordnung überzugehen, als wäre nichts gewesen, öffnet das Tür und Tor für Egoismus. Dann sind die Skrupellosen im Vorteil, diejenigen, die einfach mal vorpreschen und es drauf ankommen lassen, während die Ehrlichen tatsächlich die Dummen sind – weil sie zum Beispiel auf einen Doktortitel verzichten, wenn ihre Fähigkeiten dafür nicht ausreichen.

Die christliche Tradition hat versucht, dieses Dilemma mit dem Begriff der „Sünde“ zu lösen und dem Hinweis darauf, dass es letztlich Gott ist, auf dessen Gnade und Liebe Menschen angewiesen sind, um einen guten Umgang mit ihren eigenen Fehlern und denen der anderen zu finden (siehe unten). So wie Margot Kässmann, die nach ihrer Alkoholfahrt vor einem Jahr ganz ohne Schnörkel zugab: „Ja, ich war’s“, und dann umgehend als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland zurücktrat. Und die sagte, dabei habe ihr das Wissen geholfen, dass sie „niemals tiefer fallen kann als in die Hand Gottes“.

Die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, eine solche Haltung selbst einmal auszuprobieren. Bis Ostern also ganz bewusst auf alle Ausreden und Tricks zu verzichten und zu den eigenen Fehlern zu stehen. Nichts schönzureden, sondern die Konsequenzen des eigenen Handelns zu tragen, auch wenn sie unangenehm sind. Was passiert? Kommt es wirklich so schlimm wie befürchtet? Oder weckt die eigene Aufrichtigkeit bei den anderen vielleicht jene Großzügigkeit, die es braucht, um auch weiterhin gut miteinander auszukommen?

Auf der Internetseite www.7wochenohne.de findet man dazu weitere Anregungen und Materialien.

Sich die Punkte schenken lassen

Eine Ausrede bringt zunächst Entlastung und ein Stück Freiheit. Wenn Peinlichkeit droht oder wenn ehrliche Worte verletzen, nicht akzeptiert werden oder unerwünschte Diskussion nach sich ziehen, dann sind Ausreden oft einfacher. Sie bieten vor allem eine schonendere und weniger schmerzvolle Weise, aus einer unangenehmen Situation herauszukommen.

„Gut” wird dadurch aber auch die beste Ausrede nicht. Jede Ausrede ist und bleibt ein Symptom dafür, dass etwas verkehrt läuft. Wer auch immer verantwortlich ist: Eine Ausrede bringt nichts in Ordnung, sie klärt nichts auf, sondern sie vertieft und verlängert einen schon bestehenden Riss, auch wenn sie nicht unbedingt „wehtut”.

So ist die Ausrede eines von sehr vielen Symptomen einer Art Krankheit, die man die menschliche Unvollkommenheit oder Fehlbarkeit nennen mag. Der Theologe nennt sie „Sünde” und meint damit eine im Wesen des Menschen verankerte Störung: Jeder Mensch scheitert an der Forderung der Bergpredigt „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist”. Bildlich gesprochen: Bei aller Anstrengung und allem guten Willen erreicht niemand je die von Gott vorgegebene Punktzahl, um vor ihm wirklich als gerecht dazustehen. Immer fehlt etwas, wenn auch vielleicht nur wenig. Paulus leidet darunter sehr, er schreibt: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ (Römer 7,19)

Der Mensch als Sünder, das ist auf den ersten Blick ein in die Depression treibendes Menschenbild. Da ist nichts aufzuhübschen: Disqualifiziert für das Reich Gottes bleibt disqualifiziert. Mit keiner Wohltätigkeit und Wiedergutmachung lässt sich das Sündersein überwinden, denn Gutes und Böses lassen sich nicht verrechnen.

Die einzige Möglichkeit besteht darin, sich von Gott – um im Bild zu bleiben – die fehlenden Punkte schenken zu lassen. Und genau das ist sein Angebot. Es hat ihn das Leben Jesu Christi gekostet, diese Punkte zur Verfügung zu haben und hergeben zu können. Das bringt die Beschenkten in eine seltsame Lage: Sie sind freigesprochen, ohne wirklich­ gerecht zu sein. Natürlich ist das ein Glück, aber es ändert zunächst nichts an ihrem Mangel an Gerechtigkeit. Ihnen bleibt nur, die erfahrene Gnade und Liebe anzunehmen und weiter­zugeben. Also ebenfalls das Prinzip zu wechseln: Nicht von anderen die volle Punktzahl einfordern, sondern ebenfalls Punkte schenken.

Einen Gott zu haben, der nicht mit Strafe droht und Angst macht, sondern mit offenen Armen dasteht und dem Sünder und der Sünderin vergibt, schafft Vertrauen und führt heraus aus depressivem Gerechtigkeitswahn. Wenn Menschen einander zugewandt sind und sich gegenseitig fördern, hat es weniger Vorteile, egoistisch zu sein. Und wenn man nichts zu befürchten hat, dann wächst der Mut, Dinge in Ordnung zu bringen. So dass man sich die eine oder andere Ausrede tatsächlich sparen kann.

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 17. März 2011 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.