Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 1. Juni 2011

Wichtige Arbeit, fragwürdige Werbung

Das umstrittene christliche Kinder- und Jugendhilfswerk „Arche“ aus Berlin betreibt seit kurzem auch in Frankfurt zwei Einrichtungen. Ist Skepsis angebracht?

Stimmung machen mit christlichen Liedern, Geschichten und kleinen Wettkämpfen, bei denen Jungen gegen Mädchen antreten: Einmal die Woche gibt es in der Nordweststadt-Arche eine „Kinderparty“. Foto: Ilona Surrey

„Ausflüge gibt es selten, aber die sind die besten“, verkündet Paulo. Der Elfjährige sitzt zusammen mit seinem jüngeren Bruder Emanuel und dem gleichaltrigen Jonathan auf dem Rücksitz eines kleinen Transporters. Am Steuer Daniel Schröder von der „Arche“. Er kutschiert die drei Nachzügler ins Rebstockbad, wohin der heutige Ausflug geht.

Das christliche Kinder- und Jugendhilfswerk „Arche“ stammt aus Berlin, ist aber inzwischen mit zwei Einrichtungen auch in Frankfurt vertreten. Die erste wurde hier Anfang 2010 in Räumen der Berthold-Otto-Grundschule in Griesheim eröffnet, die zweite diesen März im „Kleinen Zentrum“ in der Nordweststadt. Jeweils gut hundert Kinder kommen täglich in jede der Einrichtungen, sie bekommen dort ein Mittagessen, können toben, spielen, Hausaufgaben machen. Die Eltern kostet das nichts, auch staatliche Zuschüsse oder Kirchensteuermittel fließen nicht ein. Die Einrichtungen werden komplett aus Spenden privater Sponsoren finanziert. Laut Daniel Schröder, der als Leiter für beide Frankfurter Archen zuständig ist, haben sie jeweils ein Jahresbudget von rund 300.000 Euro.

Die öffentliche Aufmerksamkeit ist bundesweit groß. Mit drastischen Schilderungen von kindlicher Verwahrlosung und Armut in Deutschland ist es dem Arche-Gründer Bernd Siggelkow gelungen, die Medien für sein Anliegen zu gewinnen. So macht der Komiker Mario Barth immer wieder Werbung, die Arche in Düsseldorf hat er persönlich mit eröffnet. Der Fernsehjournalist Günther Jauch spendete beträchtliche Summen für die Arche in Potsdam, und auch der Burda-Verlag sammelt auf Bambi-Verleihungen regelmäßig Geld.

In Frankfurt sind die Sponsoren weniger prominent, aber ebenfalls finanzstark. Haupt-Geldgeber sind ein „Freundeskreis“, zu dem vor allem Geldinstitute gehören, und dessen Vorsitz Martin Kohlhaussen hat, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, sowie die „Arche-Zukunft Stiftung“ von Gräfin und Graf von Zech. Auch die Leberecht-Stiftung der Frankfurter Neuen Presse hat 100.000 Euro gespendet.

Respekt und Aufmerksamkeit für jedes einzelne Kind ist das Ziel: Der Theologe Daniel Schröder leitet die beiden Frankfurter „Archen“. Foto: Ilona Surrey

Aber es gibt auch kritische Stimmen. Für Skepsis sorgt vor allem der weltanschauliche Hintergrund der Arche, die dem evangelikal-freikirchlichen Lager nahesteht. Werden hier Kinder mit Bibelbotschaften traktiert und fundamentalistisch indoktriniert?

Bei der wöchentlichen „Kinderparty“ in der Nordweststadt-Arche sind evangelikale Anklänge zwar offensichtlich, die Kinder bleiben aber eher unbeeindruckt. „Was hat die denn?“ fragt ein Junge augenrollend, als sich eine Mitarbeiterin auf der Bühne besonders bemüht, Stimmung zu erzeugen. Das Mädchen mit Kopftuch in der ersten Reihe singt fröhlich mit, als es heißt: „Ich steh auf dem Fels, auf Gottes Wort.“ Gott ist ja schließlich auch nur ein anderes Wort für Allah.

„Wir machen aus unserem christlichen Hintergrund kein Geheimnis“, sagt Daniel Schröder, der von der Ausbildung her Theologe ist. „Klar erwarten wir von den Mitarbeitern, dass sie dem Christentum gegenüber aufgeschlossen sind. Aber das Wichtigste ist, dass sie eine Berufung für diese Arbeit haben.“ Der 30-Jährige macht nicht den Eindruck, als wolle er jemanden indoktrinieren. Die Ziele, die er aufzählt, sind: Respekt, Ehrlichkeit, Selbstbewusstsein, Gespür für die eigenen Talente. „Manche würden sagen, das sind humanistische Werte, für mich sind es christliche Werte“, sagt Schröder.

„Bei uns gibt es keine Außenseiter“ klingt das in den Worten des zehnjährigen Emanuel auf dem Rücksitz des Kleintransporters, „deshalb ist die Arche tausendmal besser als der Hort.“ 95 Prozent der Kinder haben nach Schöders Schätzungen Wurzeln in anderen Ländern und Kulturen. Viele kommen aus von Armut betroffenen Verhältnissen, die Standorte liegen in Stadtvierteln mit besonders hoher Arbeitslosigkeit.

Pastor Bernd Siggelkow schildert denn auch in seinen Büchern drastische Fälle von Kinderarmut. Dadurch entsteht der Eindruck, als würden Kinder in Deutschland massenweise verwahrlosen und niemand würde sich um sie kümmern – außer die christlichen Retter von der Arche.

„Mit solchen holzschnittartigen Bildern arbeiten wir nicht“, sagt Pfarrer Michael Frase, der Leiter des Diakonischen Werkes für Frankfurt. Obwohl sie natürlich gut für die Spendenakquise sind. Aber die Realität sei differenzierter. Zwar sei es richtig, dass jedes fünfte Frankfurter Kind von Sozialgeld lebt, „aber man kann doch nicht sagen, Hartz-IV-Empfängerinnen würden generell ihre Kinder vernachlässigen“, betont Frase. „Die Frage ist, welche Bilder von Armut hier transportiert werden.“

Insgesamt gebe es in Frankfurt ein funktionierendes Sozialsystem, wenn auch durchaus mit Lücken und Defiziten, ist Frase überzeugt. Der Frankfurter Diakoniechef sieht es als Aufgabe christlicher Sozialarbeit an, nicht nur einzelnen Menschen in Not zu helfen, sondern sich auch aktiv an politischen Prozessen für eine Lösung sozialer Probleme zu beteiligen.

Trotzdem begrüßt er das Engagement der Arche. „Es ist ein zusätzliches Angebot in Frankfurt, und die Kinder können es brauchen.“ Ähnlich sieht es Pfarrer Jürgen Mattis, der Vorsitzende des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit. Dieser Träger bietet seit Jahrzehnten offene Kinder- und Jugendarbeit in vielen Stadtteilen an, macht also ganz ähnliche Angebote.

Über dreißig Einrichtungen sind es derzeit. Auch dort wird häufig kostenloses Mittagessen angeboten. „Aber wir stellen das nicht so in den Mittelpunkt“, sagt Mattis. „Uns ist es wichtiger, in Gesprächen mit der Stadt zu erreichen, dass es insgesamt Mittagstische an den Schulen gibt.“

Auch Mattis bezweifelt, dass die Situationsbeschreibungen, mit denen Siggelkow um Spenden wirbt, haltbar sind. „Zum Beispiel suggerieren seine Einzelfälle, dass Geschlechtsverkehr in sozial benachteiligten Schichten immer früher beginnt. Das ist meiner Ansicht nach aber empirisch so nicht der Fall.“ Jedoch, fügt auch Mattis hinzu, „das schmälert nicht deren Engagement, das unzweifelhaft vielen Kindern und Jugendlichen zugute kommt.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juni 2011 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Artikel "Wichtige Arbeit, fragwürdige Werbung" anhören

Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.