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Von – 12. Februar 2012

Wer vertraut, entscheidet besser

Entscheidungsfreiheit ist eines der höchsten Güter in der westlichen Welt. Wir sind mündig und selbstverantwortlich. Da klingt es provokativ, wenn es in der Kirche heißt: „Über dich ist schon entschieden.“

Reiner Dietrich-Zender ist Pfarrer in der Thomasgemeinde in Heddernheim. Foto: Rolf Oeser

Schon kleine Kinder werden heute nach ihren Wünschen gefragt, anstatt einfach über ihren Kopf hinweg zu entscheiden. Erwachsene, deren Geschäftsfähigkeit eingeschränkt ist, bekommen keinen Vormund mehr, sondern einen Betreuer. Die Zeiten der Bevormundung scheinen vorüber – Gott sei Dank!

Die kleinen Dinge des Alltags stellen mich aber ständig vor eine Wahl, was manchmal schlicht lästig ist: Muss ich am Jahresende alle meine Versicherungen überprüfen, vergleichen und gegebenenfalls neu abschließen? Kann das nicht jemand anders übernehmen? Eine vernünftige Entscheidung braucht ja Grundlagen, doch meine Zeit und Energie sind begrenzt.

Zugleich weiß ich: Mich nicht auseinandersetzen, alles laufen lassen, ist ebenfalls eine Entscheidung, für die ich mich genauso zu verantworten habe. Auch wenn die Sehnsucht nach Entlastung spürbar ist, so möchte doch kaum jemand in den eigenen Entscheidungsspielräumen beschnitten werden. Da klingt es ganz unmodisch und provokativ, wenn es in der Kirche heißt: „Ob dein Leben gelungen ist, oder nicht, entscheidest nicht Du selbst.“

Dass ich mein Leben nicht mir selbst verdanke, dass andere darüber entschieden haben, lässt sich noch nachvollziehen – stehen einem doch erfahrbar die eigenen Eltern vor Augen. Aber zu akzeptieren, dass ich es auch nicht bin, der über den Sinn oder Unsinn meines Lebens zu entscheiden hat, fällt schwer. Hat denn nicht jede Person ein Recht auf ihren eigenen Weg zum Glück? Die Gegenfrage dazu lautet: Habe ich denn überhaupt die Möglichkeit, meinem Leben selber Sinn zu geben?

„Sei ein Sünder und sündige kräftig!“ soll Martin Luther seine Zuhörer provokativ aufgefordert haben. Das war aber keine Aufforderung, Böses zu tun, sondern der Rat: Man soll zu seinen Entscheidungen stehen und Verantwortung für die eigenen Fehler übernehmen. Die Zeichnung stammt aus dem Büchlein „Luther“ von Manfred Tekla.

So stolz ich auf viele Entscheidungen in meinem Leben sein mag, es gibt genügend andere Entscheidungen, an die ich nicht gerne erinnert werde. Und selbst die guten Entscheidungen und Taten: Was sind sie wirklich wert, wenn ich die Sinnfrage stelle? In der christlichen Tradition ist von Vorherbestimmung oder Prädestination die Rede. Damit ist gemeint, dass Gott schon entschieden hat. Davon erzählt die Bibel von Anfang an: Gott entscheidet sich für die Welt – er ist ihr Schöpfer. Gott entscheidet sich für den Menschen, für Adam, Eva und ihre Umwelt einschließlich der Schlange. Sie haben ihre eigenen Handlungsspielräume und nutzen sie nicht nur nach dem Willen Gottes. Die Schlange, Adam und Eva setzen ihren eigenen Kopf durch. Gottes Geschöpfe, und insbesondere die Menschen, haben Entscheidungsmöglichkeiten.

Zu sagen: „Gott entscheidet über mich“ bedeutet nicht, dass Gott jedes und alles festgelegt hat. Gott hat sich für uns Menschen in unserer Freiheit entschieden, ist sogar selber Mensch geworden. Jede und jeder hat deshalb selbst zu entscheiden: Vertraue ich auf Gottes Zusage? Überlasse ich den Sinn meines Lebens im Grunde Gott, vertraue ich darauf, dass er es richten wird?

Von so einer Grundhaltung aus kann ich mich den alltäglichen Entscheidungen zuwenden. Ich kann es riskieren, mich auch einmal falsch zu entscheiden, weil ja letztlich Gott darüber entscheidet, ob mein Leben gelungen ist oder nicht. Von keiner meiner Entscheidungen hängt alles ab.

Mich entlastet das und gibt mir die Kraft, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Ich glaube, also bin ich. Martin Luther hat gesagt, wir Menschen seien „Sünder und Gerechtfertigte“ zugleich. In den Tischreden hat er sich einmal sogar zu der Aussage hinreißen lassen: „Sei ein Sünder und sündige kräftig!“

Was er damit sagen wollte ist: Triff deine Entscheidungen und steh zu ihnen. Übernimm Verantwortung und vertusche oder verleugne nicht deine Fehler. Du kannst sie nicht ungeschehen machen, aber Du kannst aus deinen Fehlern lernen und mit ihnen leben. Denn so geht das Zitat weiter: „Sei ein Sünder und sündige kräftig, aber vertraue noch stärker und freue dich in Christus, welcher der Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt!“

Nachtrag April 2012: Die Gewinnerinnen des Buches „Darauf vertraue ich“ von Wolfgang Huber sind Monika Graßhoff, Gertrud M. Wagner und Irmgard Weigel.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 12. Februar 2012 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Reiner Dietrich-Zender ist Pfarrer in der Thomasgemeinde in Heddernheim.