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Von – 28. März 2012

Karfreitag ohne Christentum?

Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau macht derzeit mit einer Plakataktion auf den bevorstehenden Karfreitag (6. April) aufmerksam. Damit reagiert sie auf die Diskussionen über das Tanzverbot an Feiertagen, die voriges Jahr bundesweit geführt worden sind. Mit Veranstaltungen, Plakaten und der Internetseite www.karfreitag.de soll der Sinn des Karfreitags wieder ans Licht geholt werden. Denn, so Kirchenpräsident Volker Jung: Wenn es keinen gesellschaftlichen Konsens mehr darüber gibt, was das Thema dieses Tages ist, dann gibt es auch keinen Grund, warum der Karfreitag ein arbeitsfreier Tag sein soll: „Wer diesen Feiertag inhaltlich entkernen will, der wird ihn letztlich abschaffen.“

Das ist unbestreitbar so. Doch: Was genau ist denn der Inhalt des Karfreitags? Die Veröffentlichungen rund um die Plakataktion lassen mich etwas ratlos zurück: „Dieser Tag tut der Gesellschaft gut: Zeit für den Ernst des Lebens, Mitgefühl für Opfer, Stille auf Straßen und Plätzen“ heißt es da etwa.

Sicher: Mit so einer Argumentation ist die Kirche anschlussfähig. Zum Beispiel an einen Vorschlag der hessischen Grünen. Die wollen das Feiertagsgesetz so ändern, dass einerseits religiöse Feste geschützt sind, es andererseits aber drei „stille“ Tage geben soll, an denen die gesamte Gesellschaft zum Innehalten aufgefordert wird. Im Gespräch sind Totensonntag, Volkstrauertag und eben der Karfreitag.

Ein allgemeiner Tag zum Innehalten, der Ablehnung von Gewalt, der Bewusstmachung des menschlichen Leids und des Gedenkens der Opfer von Gewalt wäre natürlich unbestreitbar sinnvoll. Bloß: Mit dem Karfreitag hat das nicht viel zu tun. Eher beschreibt es den Inhalt des Buß- und Bettags, oder auch eines neuen Volkstrauertags.

Eines von vielen Kreuzigungs-Bildern im Städel, hier mit der Familie des Stifters Wigand Märkel. Foto: Rolf Oeser

Am Karfreitag aber geht es nicht einfach um die Opfer sinnloser Gewalt. So krass es klingt: In dieser Hinsicht ist Jesu Kreuzigung ja ganz und gar nichts Besonderes. Ständig werden Menschen überall auf der Welt gefoltert und hingerichtet.

Das Besondere am Karfreitag ist vielmehr (aus christlicher Sicht) dass hier gerade nicht einfach irgendjemand hingerichtet wurde, sondern einer, der „Gott“ selber ist (und gleichzeitig Mensch), woran sich viele interessante Fragen anknüpfen. Ganz besonders natürlich die, was das über unsere Vorstellung von Gott aussagt . Man könnte das ganze Christentum als inzwischen 2000 Jahre andauernde Auseinandersetzung mit diesem Paradox beschreiben: Dass Gott offensichtlich nicht nur nicht eingreift, wenn Menschen auf dieser Welt ungerecht leiden, sondern dass Gott sogar selbst ungerecht behandelt wird, bis hin zum eigenen Tod.

„Auferstehung“ wiederum heißt ja nun auch nicht, dass Jesus zwei Tage später wieder quicklebendig gewesen wäre und Gott es also doch mal wieder geschafft hat. Sondern Jesus lebte (wiederum nur nach christlicher Überzeugung) zwar irgendwie weiter, aber er war nicht mehr ganz „von dieser Welt“.

Seit Karfreitag und Ostern geht das Christentum davon aus, dass es zwei Perspektiven gibt: eine innerweltlich-säkulare und eine andere, göttlich-spirituelle, die aber, und das ist gerade der Clou, ebenfalls innerweltlich wirksam ist. Nur ist sie eben den hiesigen Gesetzen und Logiken nicht unterworfen und kann daher auch nicht an ihnen gemessen werden. Karfreitag bedeutet: Man kann aus dem irdischen Erfolg oder Misserfolg eines Menschen nicht ableiten, wie gottverbunden er oder sie ist (wobei diese Einsicht letztlich auch schon im Buch Hiob steht).

Jedenfalls: Das, woran sich Christen und Christinnen in ihrem Handeln orientieren, ist das Reich Gottes und nicht die Reiche und Maßstäbe dieser Welt. Diese ziemlich komplizierte Vorstellung von „zwei Reichen“ ist längst nicht ausdiskutiert und längst nicht letztgültig verstanden. Zumal es dazu auch viele schlechte und missverständliche Diskussionsstränge gegeben hat, zum Beispiel die paulinische Gegenüberstellung von „Fleisch“ und „Geist“, aber auch die im Christentum weit verbreitete und höchst problematische Vertröstung auf ein Jenseits.

Die Beweinung Christi, Tryptichon von Joos van Cleve im Städel. Foto: Rolf Oeser

Aber so schwierig es auch ist: Es ist dies das Thema, worum es am Karfreitag geht. Darum, dass wir teilhaben können an der eigentlich aberwitzigen Erkenntnis der Anhängerinnen und Anhänger Jesu, dass der Tod (also die schlimmste „Strafe“, die uns nach innerweltlichen Begriffen droht, wenn wir uns ihren Maßstäben verweigern) nicht das letzte Wort hat. Weil es nämlich möglich ist, mitten in dieser Welt hier zu leben mit aller Ernsthaftigkeit und allen Konsequenzen, und sich dennoch an einer anderen Ordnung, der „göttlichen“ nämlich, zu orientieren.

Diese Weltsicht kann man nicht einfach auf andere Religionen oder auf religionslose Milieus ausweiten. Und man kann von niemandem verlangen, im Karfreitag dies oder etwas Ähnliches zu erkennen oder gar zu feiern. Im Gegenteil: Es ist ja gerade der Witz und der Kern der Differenz, dass Menschen, die nicht religiös sind, sich ganz bewusst an ausschließlich inner-weltlichen Normen und Maßstäben orientieren. Und dass Angehörige anderer Religionen sich andere Geschichten von Gott erzählen und die Idee von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus dezidiert ablehnen.

Wenn man den Karfreitag in die gesellschaftliche Debatte bringen oder auch nur irgendwie interessant machen will, ist es meiner Ansicht nach unabdingbar, genau diese Differenzen zu thematisieren und herauszuarbeiten und an konkreten Alltagsfragen plausibel zu machen.

Allerdings begibt man sich damit natürlich in eine Minderheitenposition. Man riskiert, dass die Mehrheit der Menschen sagt: Also, damit können wir nichts anfangen, wir stellen uns Gott lieber als Allmächtigen vor, der unsere Geschicke auf der Erde lenkt, oder wir glauben überhaupt nicht an Gott und schaffen uns rein innerweltliche Maßstäbe für unser Handeln.

Ja, man riskiert, dass der Karfreitag dann kein allgemein gesellschaftlicher Feiertag mehr ist, weil die meisten Menschen den spezifisch christlichen Inhalt dieses Tages schlicht und einfach nicht teilen. Aber dann muss man eben versuchen, sie davon zu überzeugen.

Es ist hingegen kein sinnvoller Weg, den Karfreitag „mainstreamkompatibel“ zu machen, indem man ihn zu einem humanistischen „Anti-Gewalt-Tag“ uminterpretiert. Dann steigen zwar vielleicht die Chancen, ihn als allgemein gesellschaftlichen Feiertag zu erhalten. Als christlicher Feiertag aber hätte er seinen Sinn verloren.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 28. März 2012 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

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