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Von – 6. April 2012

Häusliche Gewalt: Renan Demirkan las Texte von misshandelten Frauen

Die Schauspielerin und Autorin Renan Demirkan las in der Matthäuskirche Geschichten über häusliche Gewalt. Foto: Rolf Oeser

Es klingt wie aus einem Psychothriller und ist doch traurige Realität mitten in Deutschland: Frisch verheiratet zog sie zu ihrem Mann in einen kleinen Ort. Eine Einöde ohne Geschäfte, ohne Freundinnen und Bekannte. Sie besaß weder Auto noch Führerschein. Als der Albtraum begann, entpuppte sich das Zuhause als ihr Gefängnis. Der Gatte prügelte sie grün und blau. Das ganze Dorf wusste, was hinter den Mauern passiert. Aber niemand wollte etwas gehört oder gesehen haben.

Nach Jahren in der Hölle gelang dieser jungen Frau schließlich die Flucht. Stefan Weiller, der Öffentlichkeitsreferent des Diakonischen Werks Wiesbaden, begegnete ihr voriges Jahr im Zentrum für Frauen des Diakonischen Werkes am Alfred Brehm Platz in Frankfurt. Ihre erschütternde Geschichte wie die von weiteren Leidensgenossinnen hat der Journalist in einem Kunstprojekt verarbeitet.

Der unmittelbaren Bedrohung durch körperliche Gewalttaten sind die Frauen, mit denen er sprach, zwar entkommen. Aber in den Nächten holt sie das Martyrium wieder ein. Eine liegt jede Nacht wach und betet zu Gott, dass sie „sein Gesicht nie wieder sehen muss“. Einer anderen gelingt es nur mit Hilfe eines vollgestopften Terminkalenders, wenigstens tagsüber „jedes kleine Stückchen Erinnerung einzumauern“. Doch mit Einbruch der Dunkelheit „bricht alles wieder durch“.

„Von der Sehnsucht nach Ruhe und Schlaf – musikalisches Nachtstück gegen häusliche Gewalt“ hat Weiller deshalb sein Projekt genannt. Sieben jener „ruhelosen Geschichten“, die ihm Betroffene in den geschützten Räumen des „Zentrums für Frauen“ anvertraut haben, hat er zu Texten komprimiert. In der Matthäuskirche verlieh die Schauspielerin Renan Demirkan diesen Geschichten mit eindringlicher Stimme Gehör.

Die Lesung wurde unterstützt mit „Wiegenliedern“, die Solistinnen und Solisten sowie der Matthäuskammerchor vortrugen. Der krasse Gegensatz zu den lieblich-sanften Weisen ließ die in Wohnungen hausende Brutalität nur noch deutlicher zu Tage treten. Wie an den Gesichtern der Besucherinnen und Besucher abzulesen war, ließen die bestürzenden Schicksale niemanden kalt.

Doch es handelt sich nicht nur um Einzelfälle. Die Kunstaktion zur Passionszeit wollte auch Aufmerksamkeit dafür wecken, dass es eben gar nicht so selten ist, wenn Wohnungen sich in Folterkammern und Ehemänner in Bestien verwandeln. In Europa ist die Gesundheit von Frauen durch brutale Ehemänner oder Lebenspartner mehr gefährdet als durch Verkehrsunfälle und Krebserkrankungen zusammen. Jede vierte Frau hat mindestens einmal von ihrem Mann oder Lebensgefährten Prügel bezogen, sagte Gabriele Wenner, die Leiterin des Frankfurter Frauenreferats und eine der Schirmherrinnen der Aktion.

„Gewalt ist nie privat“ ist das Motto, unter dem sie das Problem ins öffentliche Bewusstsein holen will. Die Polizei habe allein in Frankfurt im vergangenen Jahr 2011 weit mehr als tausend Fälle häuslicher Gewalt registriert. Hinzu komme eine vermutlich große Dunkelziffer, da viele Frauen aus Furcht oder Scham lieber schweigen und die Tat nicht anzeigen.

Die Frauen selbst kämpfen mit ihren traumatischen Erlebnissen in der Regel ein Leben lang. Deshalb begreift die Pröpstin für Rhein-Main, Gabriele Scherle, die „Frankfurter Wiegenlieder“ als „eine andere Art von Passionsandacht“. Für das Kunstobjekt, das ein Tabuthema „aus der dunklen Ecke zieht“, habe auch sie „sehr gerne die Schirmherrschaft übernommen“.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 6. April 2012 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

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Kommentare zu diesem Artikel

  • Karola S. schrieb am 16. April 2013

    (der erste teil meines kommentar ist leider vesehentlich schon losgegangen)

    Wichtig wäre zu wissen, wie man vorbeugen kann, welches erste Anzeichen sind, aber wahrscheinlich auch Aufklärung in Bevölkerungsgruppen, in denen häusliche Gewalt besonders häufig vorkommt – z.B. ist der Anteil an Migrantinnen in Frauenhäusern ist besonders hoch.
    Das Schlimme ist doch, dass die Frauen meist erst nach einer langen Zeit der Misshandlung es schaffen sich befreien. Die Frage ist auch, ob es bei der Polizei noch besserer Schulungen bedarf.

  • Karola S. schrieb am 19. April 2013

    Nachtrag:
    Die Frage wäre, ob da ein Zusammenhang zu sehen ist:
    62 % aller türkischen Männer sollen Gewalt gegen Ehefrauen laut einer Umfrage der Universität von Kirikkale als berechtigt, teil als unerlässlich ansehen.