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Von – 2. April 2012

Über Kranksein und Gesundwerden

Frauen aus Judentum, Christentum und Islam tauschten sich zum Thema Religion und Heilung aus.

Nicht nur diskutiert wurde beim Interreligiösen Frauentag, auch der Körper kam zu seinem Recht. Schließlich ging es um Kranksein und Gesundwerden. Foto: Ilona Surrey

Malika Laabdallaoui erinnert sich noch gut an ihre Großmutter, die Heilerin in einem marokkanischen Dorf war. „Sie brachten von weit her schwerkranke Kinder zu ihr. Sie sprach Bittgebete, rieb die Kinder mit Kräutern ein, massierte sie mit Ölen, und sie wurden gesund. Gottes Wort kann Heilung bringen.“ Die muslimische Psychotherapeutin erzählte davon beim fünften Interreligiösen Frauentag unter dem Motto „Frau, Fromm, Frei“ im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum. Es ging diesmal um das Kranksein und Gesundwerden im Islam, Judentum und Christentum.

Schon der Prophet Mohammed habe die Bedeutung der traditionellen Medizin betont, sagte Laabdallaoui: „Es gibt nur zwei Dinge, die die Natur nicht heilen kann: Den Tod und das Älterwerden.“ Vom Wissen arabischer Ärzte und Ärztinnen – in der Blütezeit des Islam im 8. bis 13. Jahrhundert habe es viele wissenschaftlich tätige Frauen gegeben – hätten die Kreuzfahrer profitiert.

„Für Muslime ist Gott näher als ihre Halsschlagader“, so Laabdallaoui. Allah habe den Menschen die Aufgabe gegeben, sich und die eigene Umwelt gesund zu erhalten. So soll man den Magen nur zu einem Drittel mit Speisen, zu einem weiteren Drittel mit Wasser und den Rest mit Luft füllen, und natürlich auf Alkohol, Drogen und Schweinefleisch verzichten.

Krankheit gelte im Islam als Störung in der Beziehung zwischen Gott, Mensch und Welt und als Prüfung des Menschen, ob er sich in der Not Gott zuwendet. „Krankheit ist nichts Schlechtes und nichts Böses, sie erinnert daran, dass das Leben vergänglich und der Tod unabwendbar ist.“ Heilung sei die Wiederherstellung des Gleichgewichts auf körperlicher, seelischer, sozialer Ebene.

Ganz anders das Gottesbild des stark auf das Diesseits ausgerichteten Judentums, das Professorin Hanna Liss von der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg mit trockenem Humor erklärte. Sie schilderte das Heilige als unnahbar und strikt getrennt vom Menschlichen. Gott sei der Unveränderliche, Unsichtbare, er lasse sich durch Gebete nicht erschüttern. In die Welt, die er einst in Gang setzte, greife er nicht mehr ein.

In den fünf Büchern Mose sei Krankheit „kein großes Thema“, sagte Liss. Praktisches Handeln zögen die altorientalischen Menschen im Pentateuch dem Beten um Heilung vor. So hat Sarah, die bis ins hohe Alter unfruchtbare Frau Abrahams, um Abhilfe zu schaffen, „lieber die Magd dem eigenen Mann ins Bett gelegt und war damit auf der sichereren Seite als mit Gebeten“.

„Ein Gebet ohne Arzt hilft nichts“, heißt es im Talmud. In einer Welt, die Gott schuf, soll der Mensch korrigierend eingreifen, auch medizinisch. Im modernen orthodoxen Judentum sei daher das Organspenden Pflicht. Mütter, deren Schwangerschaft ihr Leben gefährdet, könnten auch nach der zwölften Woche noch abtreiben, „wir haben in Israel seit langer Zeit eine Fristenlösung.“

Was schließlich den Umgang mit Krankheit und Heilung im Christentum betrifft, so entwarf die Theologin Gisela Matthiae noch ein anderes Bild. „Die griechische Bibel ist voller Kranker, es wimmelt nur so von Blinden, Lahmen, Aussätzigen, Blutflüssigen, selbst Paulus leidet an Epilepsie.“ Sie schilderte die Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda, der 38 Jahre lang in der Nähe einer Heilquelle lagert, aber niemals aus eigener Kraft hineinkommen kann. Als Jesus ihn fragt, ob er gesund werden wolle, „kommt er aus seinem Muster heraus, aus der Vorstellung, nur auf eine bestimmte Weise gesund werden zu können. Heilung macht selbstständig, lässt einen Gewohnheiten knacken, Verrücktes wagen“, so Matthiae.

Die Vorstellung, Krankheit sei eine Strafe für sündiges Verhalten, die besonders in evangelikalen Strömungen des Christentums verbreitet ist, wies die Theologin zurück: „Krankheit wird in der Bibel nicht als Schuld gedeutet.“ Es sei die Aufgabe der Gesellschaft und der Kirche, für Gleichberechtigung von Kranken zu sorgen und sie nicht zu stigmatisieren.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 2. April 2012 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

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Susanne Schmidt-Lüer ist Redakteurin und schreibt vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.