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Von – 16. Juni 2012

Absolutes Blau und Frösche am Kreuz: Religion und moderne Kunst

In Kassel ist ein Streit über ein Kunstwerk an einer Kirche ausgebrochen – es stört angeblich das künstlerische Konzept der Documenta. Gleichzeitig werden religiöse Themen in der modernen Kunst heute wieder wichtiger. Wie steht es um das Verhältnis von Kunst und Kirche? Ein Gespräch mit Pfarrer David Schnell, der in Frankfurt den Dialog mit dem Kunstbetrieb führt.

David Schnell ist Pfarrer für Stadtkirchenarbeit am Frankfurter Museumsufer. Foto: Rolf Oeser

Das Verhältnis von Kunst und Religion ist offenbar immer noch nicht ganz einfach. Im Vorfeld der Kunstschau Documenta in Kassel beklagte sich die Leiterin über ein Kunstwerk an einer Kirche.

Ja, das ist offensichtlich etwas Neues: Dass nicht die Religion sich durch Kunst angegriffen fühlt, sondern anders herum, die Kunst, oder der Kunstbetrieb, sich durch Religion unter Druck gesetzt sieht.

Wie kann das sein?

Es ging um eine Holzskulptur des Künstlers Stephan Balkenhohl, von dem auch Werke im Museum für Moderne Kunst zu sehen sind, auf dem Turm der katholischen Kirche Sankt Elisabeth in Kassel. Die Leitung der Documenta protestierte dagegen: Dieses Kunstwerk passe nicht zum Konzept. Die künstlerische Leiterin der Dokumenta, Carolyn Christov-Bakargiev, fühle sich von Balkenhohls Figur gar „bedroht“. Bemerkenswert ist auch, dass die Documenta-Leitung verlautbaren ließ, die evangelische Kirche hätte „verstanden“, weil sie aufgrund einer Intervention der Documenta-Leitung auf eine Schau des Künstlers Gregor Schneider vor der Karlskirche in Kassel verzichtete. Diese Vorgänge machen deutlich, wie brisant, aber auch notwendig der Dialog zwischen Kulturbetrieb und Kirchen ist.

Und was finden Sie? Hatte die evangelische Kirche mit ihrem Rückzug Recht?

Es wäre sicherlich nicht ganz fair, wenn ich von außen, ohne die genauen Hintergründe zu kennen, mir ein Urteil erlauben würde. Grundsätzlich bin ich aber schon der Meinung, dass die Kirchen gute Gründe haben, im Kunstbetrieb selbstbewusst aufzutreten. Sie bieten mit ihren Kirchenräumen und ihren geistlichen Kontexten nach wie vor sehr gute Orte, um Kunst zu zeigen,  sich mit Kunst auseinanderzusetzen, und auch aktiv Kunstwerke in Auftrag zu geben. Auch wenn sie natürlich darauf nicht mehr das Monopol besitzen wie im Mittelalter, was selbstverständlich ein großer und unhinterfragbarer Fortschritt ist. Sollte die Aktivität von Kirchen in Sachen Kunst tatsächlich in einer Spannung stehen zu anderen Kunstpräsentationen im säkularen Raum – also hier der Documenta an verschiedenen Orten in Kassel – dann besteht, so finde ich, doch gerade da die große Chance für einen lohnenden, gegebenenfalls streitbaren, aber in jedem Fall sehr fruchtbaren Diskurs.

Welche Rolle spielt Religion denn generell heute in der modernen Kunst?

Sie wird wieder wichtiger. Die Moderne setzt ja schon in der Renaissance, also ab dem 15. Jahrhundert, ein. Seither hat die Kunst nicht mehr ausschließlich biblische oder kirchliche Themen zum Gegenstand. Trotzdem tauchen bei bestimmten Malern implizit dann doch wieder religiöse Themen auf, zum Beispiel bei Caspar David Friedrich, um einen Sprung ins 19. Jahrhundert zu machen. Seine Landschaftsgemälde sind religiös konnotiert. Die sogenannte moderne Kunst übernimmt Friedrichs subjektiven Ansatz. Grundlage ist das religiöse Empfinden des Künstlers und nicht mehr eine vorgegebene kirchliche Lehre oder Dogmatik. Das mag auch ein Erbe der Reformation sein. Luther hat ja gesagt: Woran du dein Herz hängst, da ist dein Gott.

Gab es in der Kunst nach 1945 auch Strömungen, in der Religion überhaupt keine Rolle gespielt hat?

Ja, zumindest auf den ersten Blick. In den neuen Gartenhallen im Städel ist die Kunst ja im Groben in zwei Bereiche aufgeteilt: Auf der einen Seite die abstrakte Kunst, auf der anderen die figurative beziehungsweise gegenständliche Kunst. Symbole oder biblische Geschichten können abstrakt nicht direkt dargestellt werden. Das heißt aber nicht, dass dort überhaupt nichts Religiöses mehr vorkommt. Die Abstraktion bietet gerade die Chance, dem Bilderverbot, das die Bibel fordert, mit anderen Mitteln näher zu kommen. Künstler wie Mark Rothko oder Yves Klein haben diese religiöse oder zumindest ins Jenseitige weisende Dimension ihrer Kunst betont.

In welcher Form?

Rothko hat seine Farbflächen mit Landschaften Caspar David Friedrichs verglichen. Yves Klein, der katholisch war, hat nach dem absoluten Blau gesucht. Er hat gesagt, dass er damit in die Transzendenz schauen und in seinen Bildern der Kommunion, der Vereinigung mit dem Transzendenten,  nahe kommen will, die nach katholischer Vorstellung im Abendmahl geschieht. Also ist der Bezug zur Religion auch in den Jahrzehnten da, in denen man vielleicht meint, sie spiele im großen Kunstbetrieb, in den Zentren wie Paris und New York, keine Rolle mehr. Und meiner Beobachtung nach sind Künstler dieser Art seit einigen Jahren wieder offener für religiöse Symbole und Inhalte.

Wer zum Beispiel?

Die meisten Künstler machen heute sehr vielfältige Kunst, haben verschiedene Phasen. Gerhard Richter zum Beispiel würde sich wahrscheinlich nicht als religiösen Künstler bezeichnen. Aber in seinem „Großen Vorhang“, den man jetzt im Städel sehen kann, schwingt für mich ganz viel davon mit. Man kann das Bild nicht lange ansehen, dann schwirrt es einem vor Augen. Die Grenze zwischen dem Irdischen und dem Überirdischen, der „Vorhang“, der dazwischen besteht, gerät in Bewegung. Man denke an den Vorhang im Tempel, der zerreißt, als Jesus stirbt.

Gerhard Richter hat auch umstrittene Fenster für den Kölner Dom gestaltet.

Ja, und der katholische Kölner Bischof Meisner verwendete in diesem Zusammenhang den nach dem Nationalsozialismus hoch problematischen Begriff „entartet“, weil Richters Fenster keine christlichen Motive zeigen, sondern konsequent abstrakt sind. Aber in der Abstraktion liegt meiner Ansicht nach gerade die Chance: Wir sollen Gott ja nicht auf bestimmte Vorstellungen einengen. Eine Darstellung aus dem Spätmittelalter, in der Gott als alter Mann mit Bart dargestellt wird, oder sogar mit Papstkrone, steht für mich viel eher in der Gefahr, blasphemisch zu sein. Zumindest ist das kein guter Umgang mit dem Bilderverbot.

Welche Künstler setzen sich dezidiert kritisch mit Religion auseinander?

Ein Beispiel für viele ist Martin Kippenberger, dessen Skulptur „Zuerst die Füße“ einen grünen Frosch am Kreuz zeigt. Es war im Bozener „Museion“ für moderne Kunst ausgestellt, heute befindet es sich wieder in Privatbesitz. 2008 hatte sich die katholische Kirche bis hin zum Papst dafür eingesetzt, dass dieses Werk entfernt wird. Das Museum musste kurzfristig darauf eingehen, blieb aber letztlich standhaft. Kippenbergers Verteidiger argumentierten, dass dieser Frosch eher einen aktuellen Seelenzustand des Künstlers anlässlich eines Alkohol- und Drogenentzugsprogramms dokumentieren soll, also ein durchaus selbstironisches Selbstportrait ist. Es stelle weniger eine Christus-Verhöhnung dar als vielmehr eine Christus-Identifikation. Aber irritierend sind Werke dieser Art natürlich schon.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 16. Juni 2012 in der Rubrik Kultur, erschienen in der Ausgabe , .

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Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".