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Von – 20. Juni 2012

Erfahrungen statt Dogmatik: Religion im Internet

Wenn es bei Twitter, Facebook oder in Blogs um Religion geht, stehen nicht Glaubensgrundsätze im Vordergrund, sondern Erfahrungen und persönliche Bekenntnisse. Ist das gut oder führt es zu einer Banalisierung von Religion? Damit beschäftigte sich eine Tagung im Haus am Dom.

Volxbibel

Was ist „das vollfette Comeback von Jesus?“ Die Auferstehung? Jugendliche reden anders über religiöse Inhalte als Erwachsene – wenn überhaupt. Das erlebte Martin Dreyer, Theologe und Autor, als er in einem Jugendzentrum in Köln arbeitete, und es war die Initialzündung zu seiner „Volxbibel“, einer „Mitmachbibel“ im Internet, an der Jugendliche, Erwachsene, Laien und Theologen laufend über wiki.volxbibel.com mitarbeiten können. Geboten sind: Einfache Sprache, klarer Satzbau, Bilder aus der heutigen Zeit, Zielrichtung: Wie würde Jesus auf dem Schulhof reden? Das Konzept der Volxbibel, die auch in einer gedruckten Versionen vorliegt, stellte Dreyer bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Religion 2.0“ im Haus am Dom vor.

Im Internet verändert sich die Sprachkultur

Das Tolle an dem Projekt sei, dass Jugendliche sich mit den Erfahrungen der Bibel auseinandersetzen müssten, um daran mitarbeiten zu können, sagte Jürgen Pelzer, Ko-Autor der Studie „Kirche im Web 2.0“. Und dann könnten sie sich auch mit der Bibel in ihrer Sprache identifizieren. Viele Religionslehrer setzten die niedrigschwellige Volxbibel im Unterricht ein. In Ostdeutschland sei sie beliebter als in Westdeutschland, an Haupt- und Realschulen beliebter als an Gymnasien, berichtete Dreyer.

Pelzer, der zurzeit an der Frankfurter Goethe-Uni eine Dissertation über „Religion auf Facebook“ schreibt, wies darauf hin, dass sich die Sprachkultur im Internet ändere. Dort könne jeder mit jedem sprechen, Autoritäten spielten keine entscheidende Rolle. Bei Twitter, Facebook und auch in vielen Blogs stünden nicht formale Aussagen und Glaubensgrundsätze im Vordergrund, sondern Erfahrungen und persönliche Bekenntnisse. Sie wirkten auf den ersten Blick manchmal banal, ließen aber oft eine tiefe Erfahrung durchscheinen, wie etwa, wenn jemand von einem Waldspaziergang erzähle, bei dem er von „etwas Größerem“ erfasst worden sei. Die Tendenz zur „Verflachung“ im Internet sei jedoch nicht zu übersehen.

Früher sind persönliche Ansichten nicht bekannt geworden

Dagegen wandte Norbert Kebekus, Internetseelsorger am Erzbistum Freiburg, ein, dass die Bloggerszene teilweise ein sehr hohes intellektuelles Niveau habe, auch wenn dort persönliche Erfahrungen im Vordergrund stehen. Simone Heidbrink, Religionswissenschaftlerin an der Universität Heidelberg, machte darauf aufmerksam, dass es schon immer sehr persönlich gefärbte und auch banale Äußerungen über Religion sowie „heterodoxe Meinungen“ gegeben habe. Vor dem Internetzeitalter seien sie aber nicht sichtbar geworden, jetzt erst habe man Einblicke in diese Welten – für sie als Wissenschaftlerin ein faszinierender Quellenbefund.

„Man muss dem Volk aufs Maul schauen, aber nicht nach Mund reden“, zitierte Moderator Joachim Valentin Martin Luther. Auf dem Podium war man sich einig, dass es auch die Aufgabe von Religionslehrerinnen und -lehrern sei, religiöse Sprachfähigkeit zu fördern und so der Verflachung entgegenzuwirken.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 20. Juni 2012 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".