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Aktuell

Von – 21. Juni 2012

Leben unter lärmenden Flugzeugen

Nichts bewegt zurzeit die Frankfurter Gemüter so sehr wie die neue Landebahn. Der wirtschaftliche Nutzen für die ­Region ist das Argument der Politik. Doch wie leben die Menschen in den betroffenen Stadtteilen mit dem Lärm?

Flugzeug über Sachsenhausen. Foto: Volker Mahnkopp

Am kommenden Sonntag, 24. Juni, um 15 Uhr soll die „Menschenkette gegen Fluglärm“ am Mainufer entlang von Oberrad über Sachsenhausen bis Niederrad führen. Aufgerufen haben Bürgerinitiativen, auch die Kirchengemeinden machen mit – mit Glockenläuten und Andachten um 14.30 Uhr. Unter dem Motto „Hand in Hand für unsere Zukunft“ wollen sie auf die Situation der südlichen Stadtgebiete aufmerksam machen. Sie leiden unter massiv erhöhtem Fluglärm seit Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest im Oktober.

„Ungestörter Gottesdienst ist nicht mehr möglich“

„Ein ungestörter Gottesdienst oder ein stimmungsvolles Konzert sind in unserer Kirche in der Gerauer Straße nicht mehr möglich“ klagte der Kirchenvorstand der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Niederrad bereits im Februar. Im April verabschiedete die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau eine Resolution, in der steht, „dass die Lärmbelastung der unter den Flugbahnen des Frankfurter Flughafens lebenden Menschen unerträglich und in nicht zu verantwortendem Maße gesundheitsgefährdend geworden ist.“ Kirchenjuristen prüfen derzeit, ob der Fluglärm das Recht auf ungestörte Religionsausübung einschränkt.

Viele Menschen würden sich in Niederrad nicht mehr heimisch fühlen und teilweise an Wegzug denken, sagt Karin Kuck vom Kirchenvorstand der Paul-Gerhardt-Gemeinde. Es habe bereits Abmeldungen an der Friedrich-Frö­bel-Schule gegeben. Schon jetzt sei die Belastung so groß, dass die angestrebte weitere Verdoppelung der Flugbewegungen für viele unvorstellbar sei. Um ihren eigenen Anteil zur Lärmlinderung beizutragen, stellt die Gemeinde seit kurzem den Schlag der Kirchturmuhr von 22 bis 6 Uhr aus.

Ohnmacht, Wut, Verletztheit

Auch in der Sachsenhäuser Dreikönigsgemeinde bewegt das Thema die Gemüter. Bei einem Abend zum Fluglärm ist der Gemeindesaal gefüllt mit Menschen, die nachts nicht schlafen können und ihre Fenster permanent geschlossen halten müssen. Viele berichten von Herzrasen und Bluthochdruck. Sie könnten sich nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren, klagen sie. Man spürt die Ohnmacht, die Wut, die Verletztheit.

Auch der absehbare Wegzug von Familienmitgliedern und Freunden macht vielen Angst. Aus der Dreikönigsgemeinde seien bereits mehrere Familien weggezogen, Tendenz steigend: Der Fluglärm zerstöre soziale Netzwerke, sagt Pfarrerin Silke Alves-Christe.

Jeden Samstag um 12 Uhr lädt sie zu einem „Turmgebet für die Stadt“ ein, bei der die offenen Balkone der Bergkirche bestiegen werden. Sie liegt am Sachsenhäuser Landwehrweg, mitten im besonders lärmbelasteten Gebiet. Dabei kann man den Blick über Frankfurt und die Flieger am Himmel schweifen lassen, die ein dicht gewebtes Schachbrettmuster an den Himmel malen. Eine der Teilnehmerinnen ist Erika Dauth. Es sei wichtig, dass jeder Mensch bei sich selbst anfange und sich bei der Urlaubsplanung einschränke, sagt sie. Wer weniger Lärm möchte, solle konsequent sein.

Erika Dautz und Pfarrerin Silke Alves-Christe auf dem Balkon der Bergkirche. Foto: Regina Busch

Permanent Ausnahmegenehmigungen für Nachtflüge

Nachweislich ist Fluglärm für Psyche und Körper deutlich belastender als Straßenbahn- oder Autolärm. Vor allem nachts, wenn Körper und Geist sich erholen sollten. „Es gibt kein Nachtflugverbot“, sagt Pfarrerin Alves-Christe empört, „es gibt nur eine Nachtflugbeschränkung für Starten und Landen.“ Tatsächlich werden permanent Ausnahmegenehmigungen erlassen, sodass bei schlechtem Wetter oder Verspätungen auch zwischen 23 Uhr und 24 Uhr gelandet und gestartet wird.

Insgesamt 2737 Mal im Jahr, also im Durchschnitt sieben bis acht Flieger pro Nacht. Eine Änderung des Zustandes könne nur über die ­Politik laufen, glaubt Ursula Fechter, Mitbegründerin der Bürgerini­tiative Sachsenhausen gegen eine neue Landebahn (BIS). Sie regt einen großen ökumenischen Gottesdienst aller Frankfurter Gemeinden an, um ein Zeichen zu setzen und auch in anderen Stadtteilen auf die Problematik aufmerksam zu machen.

Pfarrerin Silke Alves-Christe geht einstweilen jeden Montag zu den Demonstrationen gegen Fluglärm im Terminal 1 des Flughafens. Ebenso wie mehrere tausend andere Menschen. Auf ihrem Plakat steht unter anderem „Mein Recht auf körperliche Unversehrtheit.“ Für dieses Grundrecht will die Bürgerinitiative vor das Bundesverfassungsgericht gehen.

Flüge sollen nochmal um die Hälfte erhöht werden

Der Frust unter vielen Betroffenen ist groß. Doch ob ihr Protest etwas ausrichten kann, ist zweifelhaft. Das Land Hessen und die Stadt Frankfurt haben ein starkes Interesse am Flughafenausbau. Die derzeit 450000 jährlichen Flüge sollen in den kommenden Jahren noch einmal um die Hälfte erhöht werden. Das Land Hessen ist mit 31 Prozent Aktienanteil Haupteigner des Flughafenbetreibers Fraport.

Und die Mehrheit der Menschen in Hessen und auch in Frankfurt sind ja vom Fluglärm nicht persönlich betroffen. Die Kirchensynode hat in ihrer Resolution alle Gemeinden gebeten, sich mit den Betroffenen zu solidarisieren, und beruft sich dabei auf den ersten Korintherbrief der Bibel. Dort mahnt der Apostel Paulus: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 21. Juni 2012 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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