Der Münchener Historiker Michael Schüring hat die besondere Rolle der evangelischen Kirche in der Anti-Atomkraftbewegung der Jahre 1970 bis 1990 hervorgehoben. Die Protestaktionen in Brokdorf, Grohnde oder Gorleben hätten die Kirche zu „Weltzugewandtheit“ gezwungen, sagte Schüring am 3. Juli in der Evangelischen Akademie am Römerberg.
Genutzt habe der Kirche vor allem ihre deutliche Positionierung gegen die Atomkraft nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter am Forschungsinstitut des Deutschen Museums. So habe etwa die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 1987 den Ausstieg aus dieser Form der Energieerzeugung und den Einstieg in die Nutzung erneuerbarer Energien propagiert und dies 1988 und 2007 bekräftigt.
Galionsfiguren waren Gollwitzer und Niemöller
Zunächst sei der evangelische Anti-Atomprotest jedoch Sache einer kleinen elitären Minderheit gewesen sei, als deren Galionsfiguren der Berliner Theologieprofessor Helmut Gollwitzer (1908-1993) und der langjährige hessen-nassauische Kirchenpräsident Martin Niemöller (1892-1984) fungierten. Sie seien durch ihre scharfe Kritik an der Atomwirtschaft, durch unkonventionelle Protestformen wie Sitzblockaden und Kundgebungen im Talar sowie durch das Schmieden von strategischen Allianzen mit linken Bürgerinitiativen hervorgetreten und hätten dadurch nicht selten konservative Kirchenleitungen und auch große Teile der kirchlichen Basis gegen sich aufgebracht.
Verbindungslinie von Golgatha nach Gorleben
Auffällig sei auch gewesen, dass diese protestantische Avantgarde stark mit Analogien gearbeitet und sich als Propheten eines „unzeitigen Weltendes“ gesehen habe, erläuterte Schüring. Deren Verbindungslinie habe direkt von Golgatha über die Bekennende Kirche und Dietrich Bonhoeffer im Dritten Reich nach Gorleben geführt.
„Die Argumentation lautete: Wer nicht erneut an der Seite der Täter und Mitläufer stehen will, muss Widerstand leisten“, sagte der Umwelthistoriker. Als Beispiel nannte er einen Anti-Atom-Kongress im November 1979 im lutherischen Gemeindezentrum Hamburg-Mümmelmannsberg, der den Titel „Golgatha und Gorleben“ trug.