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Von – 25. November 2012

„Keine andere Religionsgemeinschaft hat so konsequent Widerstand geleistet“

Lutz Lemhöfer über die Zeugen Jehovas im Dritten Reich

Lutz Lemhöfer vor der Mitgliederversammlung von SINUS im Haus der Volksarbeit. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Den Widerstand der Zeugen Jehovas im Dritten Reich würdigte Lutz Lemhöfer bei der Mitgliederversammlung der Selbsthilfegruppe SINUS (Sekten-Information und Selbsthilfe) am Samstag, dem 24. November. Zur Zeit der NS-Machtergreifung Januar 1933 gab es ca. 25.000 ZJ in Deutschland. Keine andere Religionsgemeinschaft habe mit einer vergleichbaren Unbeugsamkeit dem nationalsozialistischen Anpassungsdruck widerstanden, so Lemhöfer.

Als einzige Weltanschauungsgemeinschaft bildeten sie in den KZ eine eigene Häftlingskategorie, gekennzeichnet mit dem „lila Winkel“ (der stand für „Bibelforscher“). Dem totalitären Zugriff des Staates widersetzten sich die „Bibelforscher“ konsequent: sie verweigerten den Hitlergruß und die Teilnahme an Wahlen und Volksabstimmungen (die freilich ohnehin keinen demokratischen Charakter hatten); sie bemühten sich um die illegale Fortsetzung der Versammlungen und um heimliche Missionstätigkeit. Nach Einführung der Wehrpflicht 1935 kam die Verweigerung des Wehrdienstes hinzu, die in Friedenszeiten regelmäßig mit 1bis 2 Jahren Haft geahndet wurde; seit Kriegsbeginn 1939 stand darauf die Todesstrafe.

Allein in Deutschland wurden nahezu 10.000 ZJ für eine unterschiedlich lange Dauer inhaftiert. Tausende weiterer Verhaftungen kamen in den besetzten europäischen Staaten hinzu. Insgesamt mussten mehr als 3.000 ZJ in den KZs den ‚lila Winkel‘ tragen, darunter mehr als 1.000 Zeugen aus den Niederlanden, aus Österreich, Polen, Frankreich und anderen Ländern. Die Zahl der Todesopfer unter den deutschen Zeugen liegt bei 1.200.

Lemhöfer berichtete vom Schicksal des Geigers Willy Hild. Er war seit 1924 im Orchester des Frankfurter Opernhauses beschäftigt. Am 10. November 1933 gab es in der Oper eine Feier zum Gedenken an den Hitlerputsch von 1923. Hild nahm pflichtgemäß daran teil, wurde aber denunziert, er sei weder beim Singen der Nationalhymne noch des Horst-Wessel-Liedes aufgestanden und habe den „deutschen Gruß“ nicht mitgemacht; sofort wurde er beurlaubt und bekam Hausverbot. Er entschuldigte sich daraufhin und begründete sein Verhalten mit nervösen Gesundheitsstörungen als Folge seiner Teilnahme am 1. Weltkrieg (damals war der Wehrdienst den Zeugen noch nicht verboten). 1933 durfte er nach Zahlung einer Buße noch zurückkehren; aber im Mai 1938 wurde er samt Ehefrau wegen illegaler Betätigung für die Zeugen Jehovas von der Gestapo verhaftet und bis zum Kriegsende 1945 ins KZ Buchenwald verbracht. Die städtischen Bühnen entließen ihn umgehend und sperrten sein Gehalt. Er wurde am 1. Juni 1945 wieder eingestellt, musste aber schon 1946 wegen schwerer gesundheitlicher Schäden seinen Beruf aufgeben; er starb 1977.

Doch dürften die Opfer von der heutigen Wachtumgesellschaft (WTG) nicht instrumentalisiert werden. Dies geschehe etwa, wenn die WTG Parallelen zur heutigen Zeit mit der damaligen Unterdrückung und Verfolgung ziehe. „Das ist ein durchsichtiger Versuch, die Kritiker von heute mundtot zu machen“, sagte Lemhöfer.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 25. November 2012 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.