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Von – 23. Dezember 2012

Jesus war ein Flüchtlingskind

Kein anderes Fest ist so mit „Zuhause“ und „Heimat“ verbunden wie Weihnachten. Es ernst zu nehmen, bedeutet deshalb auch, sich für das Schicksal von Flüchtlingen zu interessieren und für ein menschlicheres Asylrecht einzutreten.

Die Tür fällt zu, dann wird der Schlüssel umgedreht. Da ist ein Mensch mehrere tausend Kilometer weit geflohen, hat Geld an Fluchthelfer gezahlt, hat Hunger, Schläge, die Stürme des Mittemeeres überstanden – nur um dann hier anzukommen: in Abschiebehaft. Einzelzelle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankfurt-Preungesheim.

„Weihnachten ist immer eine besonders berührende Zeit“, sagt Jürgen Fuge, evangelischer Seelsorger in der JVA. „Ungefähr ein Drittel der Gefangenen in Abschiebehaft ist christlich geprägt. Sie kommen aus Nigeria, China, Afghanistan, dem Irak, Bangladesch, Russland oder Serbien und vielen anderen Ländern der Erde. Für sie ist der Kontrast zwischen dem Glanz von Weihnachten und der harten Realität besonders schmerzlich. Natürlich bemühe ich mich, die Traurigkeit darüber aufzufangen. In Gesprächen und auch im ökumenischen Weihnachtsgottesdienst spüre ich jedoch, dass der Glanz des Weihnachtsfestes auch hinter den Mauern da ist und Menschen anrührt.“

Nur eine kleine Minderheit darf bleiben

In Abschiebehaft kommen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen kein Recht bekommen, in Deutschland zu bleiben, die aber auch nicht von sich aus das Land verlassen. Bloß einer kleinen Minderheit gelingt es, schließlich doch hier bleiben zu dürfen. Sofern sie nicht in ihr Heimatland zurück müssen, werden viele Flüchtlinge in das Land abgeschoben, wo sie zum ersten Mal den Bereich der Europäischen Union betreten haben. Diese Bestimmung basiert auf dem Abkommen Dublin II, mit dem im Jahr 2003 die Innenminister der EU sowie Norwegens und der Schweiz die Regelungen für Flüchtlinge verschärft haben. Nur noch ein EU-Land soll für die Flüchtlinge zuständig sein – nämlich das Ankunftsland.

Das ist ein ungerechtes Abkommen! Deutschland, das keine Mittelmeerküste hat, bekommt wenige Flüchtlinge ab. Die südlichen Länder sind überproportional betroffen. Auch deshalb sind die Umstände, unter denen Flüchtlinge zum Beispiel in Italien oder Spanien leben müssen, so verheerend: in Notunterkünften, Abbruchhäusern oder auf der Straße, oftmals ohne fließend Wasser oder Strom, ohne Aussicht auf Anerkennung und damit auf eine Arbeit. Ein Leben in einer deprimierenden Warteschleife.

Überstürzte Flucht aus Angst vor Herodes

Vermutlich hätten auch Maria und Josef nicht die nötigen Papiere gehabt, um in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Das Matthäusevangelium erzählt, dass Josef sich überstürzt entscheidet, mit seiner jungen Familie nach Ägypten zu fliehen, weil er um das Leben des neugeborenen Kindes fürchtet. Zu Recht: Denn aus Sorge, Jesus könnte eines Tages mächtiger werden als er selbst, ließ König Herodes alle Kinder unter zwei Jahren töten. Jesus ist also ein Flüchtlingskind.

Überhaupt ist die Bibel voll von Fluchtgeschichten und Flüchtlingen. Am wichtigsten ist die von Moses, der mit dem gesamten israelitischen Volk auswandert. Die Erinnerung an das eigene Flüchtlingsdasein und die daraus folgende Selbstverpflichtung, Flüchtlinge gerecht zu behandeln, wird deshalb zu einem zentralen Gebot im jüdischen Glauben, und durch Jesus auch im Christentum.

Angst vor Armut und Folter

Kein anderes christliches Fest ist so mit Assoziationen von „Zuhause“ und „Heimat“ verbunden wie Weihnachten. Hier wird die Geburt von Jesus gefeiert, eines jüdischen Kindes, das in seinem Leben oft kein festes Zuhause haben sollte. Als Erwachsener wurde Jesus als politischer Gefangener schließlich von den römischen Machthabern zum Tode verurteilt, nachdem er zuvor gefoltert und gedemütigt worden war. Die Angst vor Armut, Demütigung, Folter und Todesstrafe vertreibt viele der heutigen Flüchtlinge aus ihrer Heimat. Sich für das Schicksal der Flüchtlinge in Abschiebehaft zu interessieren, an sie zu denken und für sie zu beten, sich dafür zu engagieren, dass sich die Verhältnisse ändern und doch mehr Menschen hier bleiben können: Das bedeutet, Weihnachten ernst zu nehmen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 23. Dezember 2012 in der Rubrik Gott & Glauben, Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe , .

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Melanie Lohwasser ist Pfarrerin in der Luthergemeinde im Nordend. Foto: Ilona Surrey