Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 8. September 2013

Leeres Versöhnungsgeschwurbel

Kennen Sie das? Alle lächeln. Kaum hat das Lächeln die Lippen einmal verlassen, ist es schon wieder da. Irgendwann wirkt das verkrampft.

Und ehe ich platze, muss einmal gesagt sein, dass vielleicht doch nicht alles nett ist. Das tut Günter Franzen, Schriftsteller und Psychoanalytiker. „Zeit des Zorns“ ist ein Tagebuch der Trauer, das überwiegend in Frankfurt spielt. Seine Frau ist qualvoll an Krebs gestorben. Er und seine zehnjährige Tochter sind jetzt allein. Das alles ist nicht freundlich. Und Gott? Der sei auch nicht nett.

Sein Buch liest sich wie ein Angriff. Da hievt sich einer aus der Lage desjenigen heraus, der den anderen Rechenschaft abzulegen hat, woran es denn gelegen habe und wann er zum Beispiel wieder eine neue Partnerschaft eingehe.

Oder ist sein Buch gar kein Angriff? Vielleicht stellt es einfach nur dar, welche Angriffe ein Mensch auszuhalten hat – und zwar von oft hochgebildeten, mal hilflosen, dann wieder bis zum Verrücktwerden unempfindlichen Leuten. Das alles ist wahr. Mit Kombinationssinn lassen sich viele der Beteiligten wiedererkennen. Es ist ein Klage-Psalm, der es sich verkneift zu sagen: „Aber alles in alles ist doch alles schön.“ Das Buch lässt sich nicht ruhig stellen, sondern stellt das Übliche auf den Kopf:

Immer nett, immer freundlich. Wer hält es aus?

Immer nett, immer freundlich. Wer hält es aus?

Es dreht sich nämlich gar nicht so sehr um die Seelenzustände der ach so armen Hilfsbedürftigen, sondern stellt die um vieles mehr zu bedauernden Seelenzustände derer dar, die vordergründig mild reagieren, in Wirklichkeit aber Abwehr und Desinteresse anzubieten haben, wenn es im Leben schlimm zugeht. Das liest sich aufregend. Und ist auch unter evangelischer und Frankfurter Perspektive bemerkenswert. Denn die kirchliche Verkündigung schafft es in dieses Buch, und zwar pointiert, witzig, klug. Aber doch auch wieder übertrieben? Unter dem Stichwort „Zuspruch am Morgen“ schreibt Franzen:

„Gestern hatte Frau B. von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau über die Freundlichkeit gesprochen und in der Einleitung als leuchtendes Beispiel Johannes Rau genannt, der als Bundespräsident etwa bei Werkbesichtigungen nicht nur den Kontakt zu Vorstandsmitgliedern und Managern gesucht hat, sondern auch dem Schlosser an der letzten Werkbank zuzunicken pflegte. Der Schlosser sei, wie sie es auszudrücken beliebt, gewiss beglänzt von dem Gefühl nach Hause gegangen, dass der Bundespräsident ihn achte und ihm eine Bedeutung zumesse.“

Die Freundlichkeit könne das Selbst aufbrechen, bekommt Hörer Franzen dann weiter zugesprochen, nur bei Männern ginge das oft nicht – wegen der Ellenbogen-Gesellschaft. Sie delegierten dieses Phänomen daher in hohem Maße an Frauen. Gott selbst jedoch suche seit Adam und Eva immer wieder neu (und freundlich!) eine Beziehung zu den Geschöpfen aufzubauen – also auch zum Mann.

„Am Ende der frühmorgendlichen Verkündigungsendung erfahre ich, dass ich mir Gott vorzustellen habe wie Johannes Rau in der Montagehalle: leutselig nach allen Seiten grüßend eilt er über das Schlachtfeld des Lebens und wenn sein präsidialer Blick im Hinausgehen den sich windenden Erdenwurm an der letzten Werkbank streift, ist es mit dessen und meiner Freundlichkeit auch nicht mehr weit her. Gott ist ein Generalist und Frau B. ein protestantisches Urgestein, das ihm seit 1968 in der medialen Suppenküche mit den immer gleichen Zutaten zur Hand geht. Abgehangene Systemkritik, ranziger Feminismus, leeres Versöhnungsgeschwurbel und eine Prise Luther in Worms: Da redet sie und kann nicht anders.“

Franzen klingt nicht geschwurbelt, aber hart. Könnte der Autor vielleicht nicht doch ein wenig anders? Könnte er nicht milder mit den Anhängern der Milde umgehen? Macht er sein eigentlich doch recht bedenkenswertes Anliegen nicht selber schlecht, wenn er das Trauertagebuch in eine Satire übergleiten lässt? So ließe sich die Sache abwehren, lächelnd und auf eine tpyisch mitfühlende Weise verständnislos.

Wenn da nur nicht das gepflegte Archiv der angesprochenen Verkündigungssendung wäre. Unkompliziert lässt sich der Text von Frau B. finden. Nichts ist entstellt. Und die Unfreundlichkeit des Günter Franzen? Das ist eine andere Art von Freundlichkeit. Sie lasse ich mir gefallen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 8. September 2013 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Georg Magirius ist Theologe und Schriftsteller und Kolumnist bei "Evangelisches Frankfurt". Mehr unter www.georgmagirius.de.