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Von – 5. Oktober 2013

Jugendarbeit braucht „innere Haltung“

In der Jugendkulturkirche Sankt Peter trafen sich rund 270 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der evangelischen Jugend- und Bildungsarbeit, um über Werte und Grundlagen ihrer Arbeit zu reflektieren.

Arbeitsgruppe beim Fachtag in Sankt Peter über die "innere Haltung" in der Jugendarbeit. Foto: Enrico Corsano

Arbeitsgruppe beim Fachtag in Sankt Peter über die „innere Haltung“ in der Jugendarbeit. Foto: Enrico Corsano

Paulus hatte leicht reden. Dass es ziemlich viel Zeit verschlingt, alles gründlich zu prüfen, um nur das Gute zu behalten, fiel damals wohl kaum ins Gewicht. Im Gegensatz zu den Thessalonichern, denen der Apostel via Brief diesen Rat erteilte, sind die Menschen heute von Zeitdruck geplagt. Der macht eingehendes Betrachten bekanntlich schwer.

Unter dem Titel „Innere Haltung – ethische und philosophische Standpunkte in der Bildungs- und Sozialarbeit“ gewährten der Evangelische Regionalverband und das Stadtschulamt immerhin einen Fachtag lang „Raum zum Denken und Reflektieren“. In der Jugendkulturkirche Sankt Peter hatten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gelegenheit, im Sinne von Paulus „dem Guten nachzujagen“, wie es der Leiter des Fachbereichs „Beratung, Bildung, Jugend“, Pfarrer Jürgen Mattis, formulierte. Das konnten die rund 270 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nachmittags in elf „Denkräumen“ tun, in denen der Arbeitsalltag aus unterschiedlichen Perspektiven unter die Lupe genommen wurde.

Die Vorträge am Vormittag lieferten mit ihrem Blick auf den gesellschaftlichen Stellenwert der Bildungs- und Sozialarbeit sozusagen das theoretische Unterfutter. Der Philosoph Julian Culp bescheinigte dem Bereich eine kaum zu überschätzende Wichtigkeit für demokratische Staaten. Früher habe die politische Philosophie von der Pädagogik noch wenig Notiz genommen, inzwischen zeichne sich aber eine Trendwende ab. Bildungs- und Sozialarbeit würden zunehmend als „Nährboden einer demokratischen Gesellschaft“ erkannt.

Für Culp ist das ein längst überfälliger Schritt. Denn dort seien „die wesentlichen Trainingsstätten für die Vermittlung demokratischer Kompetenzen“ zu finden. Dort würden unverzichtbare Eckpfeiler eingeübt wie die Bereitschaft zur Kooperation, Respekt für sich selbst und für andere oder die Fähigkeit, Stellung zu beziehen und diese auch zu begründen. Allerdings habe die Wirtschaft daran kein Interesse, kritisierte Culp, der auch Mitglied einer Forschungsgruppe zu „Transnationaler Gerechtigkeit“ an der Frankfurter Universität ist. So sei „die miserable Entlohnung, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung pädagogischer Arbeit“ stehe, ein Skandal.

Wer in der Bildungs- und Sozialarbeit beschäftigt ist, schlägt sich allerdings nicht nur mit niedrigen Gehältern herum. Ein Fachtagteilnehmer, der seit vielen Jahren Sozialarbeiter ist, erzählte davon, wie er unter dem Druck eines Arbeitsumfeldes leide, das fast nur noch auf Effizienz und Effektivität getrimmt sei. Seine „innere Haltung“, die gegen „die Heranbildung marktkonformer Kinder und Jugendlicher“ gerichtet sei, finde dort kaum mehr Resonanz. Umso mehr begrüße er es, dass er sein Missbehagen durch die Theorien, die bei diesem Fachtag präsentiert wurden, bestätigt sehe.

Rebecca Gutwald wiederum zeigte sich erfreut, dass ihre Forschung zu politischer Philosophie und angewandter Ethik auch außerhalb akademischer Zirkel auf Interesse stößt. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität München betonte in ihrem Fachvortrag, dass Wissenschaft immer auf die Erfahrungen aus der Praxis angewiesen sei.

Gutwald richtete in ihrem Vortrag das Augenmerk auf die Verwirklichungschancen eines Menschen. Bildung und Erziehung spielten eine Schlüsselrolle dabei, Chancen zu ergreifen und zu vergrößern. Sie versetzten Menschen in die Lage, ihre Befähigungen auszuleben und ihren Aktionsradius zu erweitern. Bildung und Erziehung müssten jedoch auf die einzelne Person zugeschnitten werden: Fahrräder zu verteilen, so ihr Bild, mache wenig Sinn, wenn die Betreffenden kein Fahrrad fahren können. Bezogen auf die innere Haltung im Bereich von Bildungs- und Sozialarbeit heiße das, Menschen als Akteure und Akteurinnen zu begreifen, die dazu fähig sind, ihre eigenen „Möglichkeitsspielräume“ zu entfalten.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 5. Oktober 2013 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe , .

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