Meist ist von Gott in männlichen Bildern die Rede, zum Beispiel im „Vaterunser“. Doch gerade an Weihnachten zeigt sich Gott von seiner – von ihrer – mütterlichen, fürsorglichen und barmherzigen Seite.
Als meine Kinder fünf Jahre alt waren, konnte ich ein Gespräch auf der Rückbank des Autos mitverfolgen. Es ging um die Frage, ob Gott ein Mann sei oder eine Frau. Sie waren sich ziemlich schnell einig: beides. Wenn wir Gottes Kinder sind, dann muss Gott natürlich Mutter und Vater sein. Kinder reden unbefangen über Gott in diesem Alter.
Drei Jahre später war es mit diesen Gedanken vorbei. Zum selben Thema waren sich meine Söhne plötzlich einig: Natürlich ist Gott ein Mann. Schließlich heißt es ja „der“ Gott, und „er“ (inzwischen waren sie in der Schule und lernten Grammatik). Die Realität der menschlichen Bilder hatte sie eingeholt.
Doch jetzt im Dezember bekommt ein weibliches Bild von Gott noch einmal Berechtigung. Überall werden Weihnachtskrippen aufgebaut. Und da hat die stärkste Position Maria, die Mutter, die fürsorglich ihr Kind hält oder es liebevoll anschaut.
Es war eine starke Provokation, dass Jesus von Gott als Vater sprach, dass er Gott persönlich, familiär ansprach. Die Weihnachtsgeschichte legt ein ähnlich starkes Bild nahe. Bei einer Geburt spielt, neben dem Kind, die Mutter nun mal die Hauptrolle. Es ist eine Frau, die Gott als Menschen zur Welt bringt. Könnte man dann, genauso wie den Vater, nicht auch die Mutter als Bild für Gott nehmen?
Ich tue das beim Beten manchmal. Je nachdem habe ich, analog zum männlichen „Vater“ im Vaterunser, zuweilen auch ein weibliches Bild von Gott vor mir. Und ich bete dann anderes. Einer Mutter vertraue ich mich anders an als einem Vater. Ich fühle mich besser verstanden und auch gestärkt.
Neu ist das eigentlich nicht. Vorlagen für weibliche Bilder von Gott gibt es schon im Alten Testament. Da ist zum Beispiel von Gott als einer Mutter die Rede, die ihre Kinder tröstet und nicht verlässt. Oder Menschen erfahren Gottes „Barmherzigkeit“: Das entsprechende Wort leitet sich im Hebräischen, der Sprache des Alten Testaments, vom Wort für Gebärmutter ?ab. Barmherzigkeit beschreibt den unbedingten Wunsch, jemandem zu helfen, egal was er oder sie zuvor vielleicht getan hat – so eben, wie eine Mutter ihrem Kind.
An Weihnachten wird die sonst vielleicht abstrakte Botschaft von der Liebe Gottes mit dem Bild eines neugeborenen Kindes anschaulich: Wer ein kleines Kind im Arm hält, spürt Nähe, spürt Liebe ganz konkret über die Berührung, über die Wärme, die kleine Brust, die sich beim Atmen auf und ab senkt, den unvergleichlichen Geruch eines Neugeborenen. Dieses Bild von Gott setzt einen anderen Akzent als das Bild des Vaters, der streng und gerecht ist. Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung, denn Gott kann weder auf das eine noch auf das andere reduziert werden.
Als meine Kinder gerade sprechen gelernt hatten, benutzten sie, wie alle Kinder, die Anreden „Mama“ und „Papa“. Interessant war aber, dass sie sowohl meinen Mann als auch mich selbst mit beiden Worten betitelten. Der Unterschied lag in ihrem Bedürfnis: Hatten sie Hunger oder wollten sie getröstet werden, riefen sie Mama. Ging es ums Spielen oder um Beschäftigung, verwendeten sie den Begriff Papa. Für uns beide.
Vielleicht lag es daran, dass sie an uns jeweils beide Aspekte kennen gelernt hatten. Wir haben beide gearbeitet und uns auch beide um die Kinder gekümmert. Es gibt heute nicht mehr nur eine Familienkonstellation mit klar verteilten Rollen zwischen Mann und Frau. Mütter gehen arbeiten und Väter nehmen Erziehungsurlaub. Kinder leben allein mit der Mutter, Väter adoptieren ein Kind.
Einer der positiven Aspekte davon ist, dass sich dadurch auch unser Bild von Gott öffnen kann. An Weihnachten zeigt sich Gott von seiner – von ihrer – mütterlichen, fürsorglichen und barmherzigen Seite: Er, sie, bringt Liebe unter die Menschen.