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Von – 6. April 2014

Gedenken an den Auschwitz-Prozess im Bürgerhaus Gallus

Genau fünfzig Jahre nach Prozessbeginn lud ein breites Bündnis an den Ort der Verhandlung ein.

Gedenkveranstaltung 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess im Bürgerhaus Gallus. Mit dabei waren auch der frühere Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (2. von links), der damalige Ermittlungsrichter Heinz Düx und die Auschwitz-Überlebende Trude Simonsohn (2. von rechts). Foto: Rolf Oeser

Gedenkveranstaltung 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess im Bürgerhaus Gallus. Mit dabei waren auch der frühere Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (2. von links), der damalige Ermittlungsrichter Heinz Düx und die Auschwitz-Überlebende Trude Simonsohn (2. von rechts). Foto: Rolf Oeser

„Das Schlimmste war die Vernehmung der Zeugen durch die Verteidiger der Täter. Sie wurden so in die Enge getrieben, sie sollten unglaubwürdig gemacht werden.“ Irmgard Lauer-Seidelmann, die Gallus-Bewohnerin, ging 1964 zum ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess. Sie erlebte, wie die Opfer ihren Peinigern auf den Fluren im Bürgerhaus Gallus gegenüberstanden. Und sie hörte vom Hausmeister, dass Victor Capesius, der Lagerapotheker, der an der Rampe des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau über Leben und Tod der Ankommenden entschied, während des Prozesses sein Essen aus dem Frankfurter Hof geliefert bekam.

Es sind solche Momente in dieser Gedenkveranstaltung am 3. April 2014, die für einen Augenblick erahnen lassen, wie es gewesen sein könnte, als vor genau fünfzig Jahren Überlebende und SS-Personal des Konzentrationslagers Auschwitz an diesem Ort zusammentrafen.

„Die Stimme meines Vaters war eine gefrorene Stimme“, sagt Andrzej Bodek, der damals als Siebenjähriger in Polen lebte. Erst später hat er die Stimme seines Vaters Józef im Zeugenstand vom Band gehört, „eine gefrorene Seele“, sagt Bodek heute. Und wendet sich herunter vom Podium an die Jugendlichen im Saal: „Der Auschwitz-Prozess soll für Euch alle ein ganz wichtiger Baustein sein, er ist ein Wendepunkt gewesen.“

Sein Vater allerdings kam „völlig niedergeschlagen“ von seiner Zeugenaussage in Frankfurt zurück. Es erschien ihm sinnlos, sich nochmal geöffnet zu haben. Von der Wirkung des vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer angestoßenen ersten bundesdeutschen Verfahrens zur Aufklärung der Verbrechen in Auschwitz erfuhren die Zeugen nichts, sagt Bodek.

Bei Prozessbeginn wollten viele in Deutschland „nichts mehr hören“ von den Verbrechen in der Nazizeit sagt Irmgard Lauer-Seidelmann, die bei Kriegsende zwölf Jahre alt war. Doch für die Frankfurterin und für viele viele andere bildete der Prozess einen Wendepunkt: „Ich engagierte mich danach politisch, in dem Bewusstsein, das darf nie mehr passieren“. Heute noch ist die alte Dame in der Geschichtswerkstatt Gallus aktiv.

Auch Peter Steinacker, ehemaliger Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, ist auf dem Podium. Er war zwei Mal bei den Verhandlungen im Auschwitz-Prozess dabei. Sein Vater Fritz Steinacker verteidigte nicht nur bei diesem Prozess NS-Verbrecher. Und es ist wieder einer dieser Momente, die unter die Haut gehen, als Andrzej Bodek, der Sohn des Auschwitz-Überlebenden, Peter Steinacker, dem Sohn des Verteidigers der Täter, entgegenhält, wie dessen Vater und sein Sozius „versuchten, meinen Vater fertigzumachen“.

In der Zeit des Kalten Krieges war nämlich eines der Mittel der Verteidiger, Zeugen zu unterstellen, sie seien von ihrer kommunistischen Regierung instrumentalisiert worden. „Mein Vater benötigte keinerlei Belehrungen, er wurde in Auschwitz Tag für Tag Zeuge dessen, was passierte.“

Im Publikum werden ob dieser Konfrontation einige unruhig, als Peter Steinacker wieder und wieder die Auseinandersetzungen schildert, die er mit seinem Vater führte: „Wie ist es ethisch möglich, solche Monster und Mörder zu verteidigen, was macht das mit Dir, wenn Du solche Zeugen vernehmen musst?“ lauteten seine Fragen an den Vater.

Doch das Problem, einen „absoluten Unrechtsstaat“ mit Mitteln des Rechtsstaates zu verteidigen – habe der Auschwitz-Prozess nicht gelöst. „Wir ringen immer noch darum“, sagt Steinacker. Und: „Diese Erfahrung hat meine Arbeit als Kirchenpräsident tief beeinflusst“.

Trude Simonsohn, die die Gefangenschaft im Konzentrationslager Auschwitz überlebt hat, berichtet unter großer Anteilnahme des Publikums, wie sie auch heute noch, mit 93 Jahren, Zeugnis ablegt in Schulen: „Wenn man überlebt hat, hat man die Pflicht, für alle zu sprechen, die es nicht mehr können.“

Nicht minder beeindruckend ist der Ermittlungsrichter des Auschwitz-Prozesses Heinz Düx, der, bald neunzigjährig, präzise und scharf von den Widerständen in der Justiz gegen den Prozess berichtet. „Reuelos und verstockt“ reagierten die Angeklagten auf die Schilderungen der Zeugen. Ihre Taten hätten sie „ohne jeden Skrupel mit Eifer und innerer Hingabe“ begangen. „Bei der Schuld, die alle auf sich luden“ seien die Urteile „milde“ gewesen. Aber „in Anbetracht der Verhältnisse einigermaßen erträglich“.

Wer sich genauer informieren möchte: Die Ausstellung „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht“ ist vom 10. April bis 7. September im Jüdischen Museum, Untermainkai 14/15, zu sehen (dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr).

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 6. April 2014 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Susanne Schmidt-Lüer ist Redakteurin und schreibt vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.