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Von – 25. Juli 2014

Gronemeyer: Spiritualität ohne Nächstenliebe ist nichts

„Früher hatten wir noch keine Spiritualität“ – dieser Satz einer 90-Jährigen hat es dem Theologen und Soziologen Reimer Gronemeyer angetan. Bei einem Vortrag im Diakonissenhaus sprach er über den Zusammenhang von Alter und Spiritualität.

Reimer Gronemeyer bei seinem Vortrag im Frankfurter Diakonissenhaus. Foto: Ilona Surrey

Reimer Gronemeyer bei seinem Vortrag im Frankfurter Diakonissenhaus. Foto: Ilona Surrey

Nachdenklich, provozierend und erzählerisch entwirft Gronemeyer, locker aufs Rednerpult gestützt, seine Kernthese: „Spiritualität muss die Nächstenliebe an der Hand halten, um nicht abzusegeln ins Nebulöse.“Auch wenn Spiritualität dabei helfen könne, „die Fülle des Lebens ins Auge zu fassen“, so Gronemeyer, könne sie doch auch für eine manipulative „Instant-Religiösität“ stehen, die für Menschen gedacht ist, deren einziges Ziel es sei, „happy“ zu werden.

Über achtzig Männern und Frauen haben sich zum Studientag verschiedener evangelischer Institutionen angemeldet. Weißhaarig und selbst  gerade 75 Jahre alt geworden, fesselt Gronemeyer sein Auditorium zunächst mit Geschichten aus Afrika: Dort würden die Alten mit Ehrfurcht behandelt, weil sie es sind, die wissen, wann welche Samen am besten in den Boden zu bringen sind. Ein blinder alter Mann sitzt am Heiligen Feuer, ein Dreijähriger begleitet jeden seiner Schritte – und das Verhältnis der beiden sei „spirituell“, sagt Gronemeyer, es sei „sachlich und zugleich sehr zärtlich“.

Spiritualität kann auch zur Manipulation dienen

Doch in einer Welt wie heute in Westeuropa, wo nur noch das Geld die Geschicke bestimmt und  der alte Mensch nicht mehr wichtig ist, sei Spiritualität oft bloß der „Nachrüstungsbeschluss der Leistungsgesellschaft“. Sie diene als Instrument, „mit dem man Menschen, die vor Angst in der Leistungsgesellschaft verrückt zu werden drohen, versorgt“. Spiritualität eigne sich dazu, Menschen zu manipulieren, die ahnen, dass ihnen etwas fehlt.

Doch das war nicht immer so. „In der Geschichte des Abendlandes ist Spiritualität ein wunderbarer Begriff“, sagt Gronemeyer, schließlich bedeute „Spiritus“ so viel wie „Geist“ und verweise auf den Heiligen Geist, also eine der Erscheinungsformen Gottes.

Wenn die Begrenztheit der Zeit deutlich wird

Spiritualität in diesem Sinn könne genutzt werden, um darüber nachzudenken, was Befreiung im Alter heißt. Zum Beispiel die Befreiung von Gewohnheiten und die Chance, im Alter zu erfahren, worum es wirklich geht im Leben, wie dann die Begrenztheit der Zeit ganz deutlich wird.

Wie werde ich alt, fragt Gronemeyer laut,  gibt es Bilder vom Alter, die mit Befreiung und Würde zu tun haben? „Und wo nehmen wir die Kraft dazu her?“, fragt ein Zuhörer. Gronemeyers Antwort kommt blitzschnell: „Sicher nicht aus spirituellen Workshops, sondern aus Demut und Dienst am anderen.“

Oder, um es mit den Worten eines der Sprüche zu sagen, die am Beginn der Tagung in einer Performance  erklangen: „Danken und Loben ziehen nach oben.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 25. Juli 2014 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe , .

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Susanne Schmidt-Lüer ist Redakteurin und schreibt vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.