Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 22. August 2014

In der Klause

Im Turm der Diakoniekirche Weißfrauen im Bahnhofsviertel gibt es auch eine Klause, in der man übernachten kann. Stephanie von Selchow hat das mal ausprobiert.

blog_10_svs_EngelIMG_0642_klein

Foto: Stephanie von Selchow

Die Wilhelm-Leuschner-Straße, Ecke Weserstraße, mitten im Bahnhofsviertel. Ich freue mich über den Schriftzug „MENSCH“ an der Weißfrauen-Diakoniekirche, schließe das Hoftor auf und gehe die Treppe zur Kirche hoch. Aber nicht hinein, sondern links zum Turm. Ich schließe die Turmtür auf, taste mich zwei Stockwerke die enge Wendeltreppe hoch und öffne dann voller Neugier die solide Holztür zur kleinen „Mönchszelle“ im Turmviereck, gebaut von der Künstlerin Andrea Büttner im Zuge der Turm-Sanierung.

Hier darf ich heute übernachten. Links das Bett und ein schmaler Schrank, rechts ein Tisch und ein Stuhl. Wie warm das Holz wirkt, nach all dem Beton draußen.

Ich öffne die dicke Holztür auf der anderen Seite, die zum Turmgitter nach draußen führt. Links Theater und Theatertunnel, rechts ein großer grüner Baum. Tür wieder zu.

Viertel vor zehn am Abend. Und nun? Kein Internet, kein Fernsehen, auch kein Buch. Nur ich, mein Block und mein Stift, ein bisschen oberhalb der Stadt.

Erstmal setzen. Es riecht nach Holzschutzmittel. Vor dem Fenster ist ein Engel. Schmal, mit Flügeln aus Bronze. Auf Augenhöhe, an der Kirchenwand. Vielleicht beschützt der mich, denn ein kleines bisschen unheimlich ist es schon auch.

Und wie die Autos rauschen. „Es gibt ein Grundrauschen“, hat Kurator Thomas Kober im Vorgespräch gesagt. „Der Raum liegt ja direkt über der Straße.“ Kober hat auch gesagt, mit der Mönchszelle habe die Künstlerin „die Spiritualisierung, die Kunst heutzutage in die Kirchen bringen soll, geschickt an die Kirche zurückgegeben“.

Ich bewundere ihre Idee: Direkt über einem Tagestreff für wohnsitzlose Männer einen Raum zu schaffen, in dem man „einfach sein“ kann. Dem Unbehaustsein, der Einsamkeit, der Großstadt diese Zelle entgegenzusetzen, holzwarm. Vielleicht ist das Glauben: Immer wieder ein warmes Bollwerk errichten, als Antithese zu dem, was nicht gut ist in der Welt.

Umso besser, dass Büttner nicht nur an die drinnen gedacht hat, sondern auch an die draußen. Auf die Unterseite des Kirchturms hat sie eine hellrote Holzdecke gezogen, die mit dem orangeroten Eingang zum Diakoniezentrum in der Weserstraße korrespondiert. Unter der roten Holzdecke, also zwei Stockwerke unter mir, übernachten heute zwei Wohnungslose. Ich bin nicht allein.

Aber ich bin auch ganz schön privilegiert in meinem soliden Holzräumchen für diese Nacht, und mit meiner Wohnung zuhause für alle Tage. Ich fühle mich geborgen. Und dankbar. Ich habe einmal gelesen, dass Kinder, die in Holzräumen unterrichtet werden, viel ruhiger sind. Das kann ich mir vorstellen. Dann schlafe ich ein.

Halb fünf. Ein Vogel zwitschert. Das erste Auto dringt in mein Bewusstsein. Ich linse aus dem kleinen Fenster neben dem Bett. Die Straßenlaternen leuchten gelb. Jetzt noch weiter dösen. So einen Raum müsste man öfter haben, länger, ruhiger.

Aber diese Nacht war auch schon gut. Um sieben stehe ich auf und mache die Tür zum „Balkon“ auf. Auf der Straße ein beleibter Mann mit einer Tüte Brötchen. Ich setze mich nochmal auf den Stuhl. Engel am Morgen.?

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 22. August 2014 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".