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Von – 30. September 2014

Zum Verhältnis von Christentum und Judentum

In jüngster Zeit mehren sich wieder antijudaistische Stimmen, die aus der israelischen Politik in Gaza Wasser auf ihre Mühlen leiten. Feindseligkeit gegenüber dem Judentum ist ein altes Phänomen. Die christliche Kirche steht schon immer zur jüdischen Synagoge in einer Spannung, die über Strecken in furchtbarsten Diffamierungen und Verfolgungen Ausdruck gefunden hat. Hier einige Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Verhältnis von Christentum und Judentum.

Christin mit Israel-Fahne: Hier bei einer Pro-Israel-Demonstration im Juli auf dem Opernplatz. Foto: Boris Roessler / dpa

Christin mit Israel-Fahne: Hier bei einer Pro-Israel-Demonstration im Juli auf dem Opernplatz. Foto: Boris Roessler / dpa

Hat das Neue Testament das Alte Testament außer Kraft gesetzt?

Nein, ohne das „Alte” Testament ist das „Neue” unbrauchbar, denn das christliche Gottes- und Menschenbild beruht auf der jüdischen Bibel. Die dort niedergelegten Gottesbegegnungen sind also Grundlage auch für den christlichen Glauben. Jesus war selbst Jude, und wenn er vom „Vater“ spricht, ist damit der Gott der hebräischen Bibel gemeint. Für Christinnen und Christen ist jedoch Jesus Christus die Mitte der gesamten Heiligen Schrift. Insofern haben sie einen anderen Blickwinkel, wenn sie im Alten Testament lesen. Die Geschichte von der Geburt Jesu zum Beispiel geht davon aus, dass sich in Jesus alttestamentliche Verheißungen des kommenden Messias erfüllt haben. Diese Auffassung wird von Juden und Jüdinnen nicht geteilt. Aber trotzdem kann das Alte Testament nicht gegen den jüdischen Glauben gelesen werden. Vielmehr sollten Christinnen und Christen der jüdischen Perspektive Respekt zollen. Das kann durchaus heißen, alttestamentliche Texte ganz ohne Bezug auf Christus zu deuten.

Aber für Christen und Christinnen ist doch Jesus der Messias?

Ja, das unterscheidet den Glauben beider Religionen: Im Christentum wird Jesus als Gottes Sohn und Erlöser gesehen, während die Judenheit weiterhin auf den Messias wartet. Eine wesentliche Hoffnung, die mit dem Kommen des Messias verbunden ist, bleibt aber auch für die Christenheit bisher unerfüllt: Im äußeren Weltgeschehen hat sich durch Christus nicht wirklich etwas verändert. Es gibt weiterhin Krieg und Hunger und anderes Leid. Eine Verwandlung der Welt, wie sie vom jüdischen Messias ersehnt wird, geschieht auch nach christlicher Überzeugung erst später, nämlich mit der Wiederkunft Christi. Insofern sind beide Religionen im Warten vereint.

Christen sind aber schon gerettet, ohne noch auf das Gesetz, die Tora, verpflichtet zu sein?

Lediglich die Kult- und Speisegesetze werden im Christentum nicht mehr angewendet. Ansonsten hat Jesus in der Bergpredigt Gebote der jüdischen Bibel sogar verschärft und zum Beispiel die Feindesliebe vertreten. Dadurch ist es noch schwerer, sogar fast unmöglich geworden, das Gesetz zu erfüllen. Deshalb spricht Gott nach christlicher Ansicht Sünderinnen und Sünder aus Gnade gerecht. Das heißt aber keineswegs, dass sie nun über dem Gesetz stünden, sondern sie sind weiterhin verpflichtet, die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe zu erfüllen. Beim Jüngsten Gericht haben sie sich dann vor Gott dafür zu verantworten, wie sie mit Gnade und Gerechtigkeit umgegangen sind. Was die Erfüllung des Gesetzes angeht, sind sie also keineswegs „aus dem Schneider”.

Was ist mit der Erwählung des jüdischen Volkes, von der das Alte Testament berichtet?

Die bleibt selbstverständlich bestehen, denn Gott ist seinen Verheißungen immer treu. Es wäre ein Irrglaube, anzunehmen, Gott hätte die Judenheit verworfen, weil sie das Evangelium von Jesus Christus nicht angenommen hat. Paulus zum Beispiel vertritt die Ansicht, Gott habe der Judenheit die Ohren für die christliche Botschaft absichtlich verschlossen, damit seine Botschaft aufgrund dieser Blockade – wie Wasser, das ein Hindernis umfließt – zu den Heiden gelangen konnte. Die jüdische Ablehnung des Evangeliums ist so gesehen also gottgewollt und nicht schuldhaft, denn so wurden auch alle anderen Völker mit hineingenommen in das „Gottesvolk“. Und auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen sind ja sowieso alle Menschen, egal zu welcher Religion sie gehören.

Gibt es nicht schon im Neuen Testament Antijudaismus?

Ja, in der christlichen Selbstprofilierung war die Abgrenzung zum zeitgenössischen Judentum schon damals nicht frei von Polemik, und die Kirche hat das später noch ausgebaut und etwa von der „Verworfenheit“ der Juden gesprochen. Der christliche Antijudaismus hat die Verachtung und Verfolgung jüdischer Menschen immer wieder befeuert. Allerdings müssen selbst diese Bibelstellen nicht antijudaistisch interpretiert werden, man kann sie – und das ist viel sinnvoller – auch als innerchristliche Anfechtungen lesen. Die Vorstellung, durch penible Gesetzeserfüllung vor Gott Gefallen und Anerkennung erlangen zu können, ist ja auch im Christentum eine allgegenwärtige Versuchung.

Sollten Christen durch Mission den Juden das Evangelium näher bringen?

Nein, denn Mission setzt voraus, die Jüdinnen und Juden hätten keinen Glauben, oder einen falschen Glauben. Das ist aber nicht der Fall. Ihre Erwählung und ihr Bund mit Gott besteht weiter, und ihre Zukunft im Reich Gottes ist durch dessen Zusage verbürgt. Sie haben in Bezug auf ihren Glauben keinerlei Nachhilfe nötig. Die Judenheit findet ihr Heil nicht durch die Taufe, sondern ganz unmittelbar durch ein Handeln Gottes.

Warum reagieren viele jüdische Menschen so empfindlich auf Kritik an der israelischen Politik?

Weil die Kritik oft außer Acht lässt, wie tief die lange Geschichte der Ablehnung und Traumatisierung ins kollektive Gedächtnis eingegangen ist. Wenn es um Israel geht, stehen schnell wieder „die Juden“ als Schuldige am Pranger. Das weckt zwangsläufig Erinnerungen an die unseligen Beschuldigungen, die immer wieder als Begründung für Verfolgung und Vernichtung gedient haben. So zum Beispiel der völlig haltlose Vorwurf, die Juden seien die Mörder Jesu. Gespräche über die Zukunft in Israel und Palästina sind nur über eine vorbehaltlose Anerkennung jüdischer Existenz zu erreichen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 30. September 2014 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe , .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Bertram Klingelhöfer schrieb am 30. September 2014

    Sehr geehrter Herr Steller,
    mit Interesse habe ich Ihre Ausführungen zum Verhältnis von Christentum und Judentum gelesen. Es ist erfreulich, dass Sie andere Religionen – in diesem Fall das Judentum – mit Respekt betrachten und nicht mit „falsch“ oder „richtig“ bewerten wollen.
    Allerdings: Die Aussage „… der völlig haltlose Vorwurf, die Juden seien die Mörder Jesu.“ verwirrt mich.
    Die Evangelisten berichten, dass der Jude Judas den Juden Jesus verriet, dass das ganze Volk mehrfach laut schreiend forderte, Jesus zu kreuzigen. Der Ausruf „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ wird von Matthäus zitiert. Dagegen hielten der römische Landpfleger, seine Frau und der römische Hauptmann Jesus für unschuldig.
    Ich und vielleicht auch andere Leser und Leserinnen möchten gern wissen, was Sie veranlasst hat, von „völlig haltlosem Vorwurf“ zu sprechen. Sind es neue historische Erkenntnisse oder formaljuristische Gründe? Oder muss man die Evangelien durch die Brille der Political Correctness lesen?
    Vielleicht können Sie in der nächsten Ausgabe von „Evangelisches Frankfurt“ Ihren Standpunkt erläutern. Das wäre schön!
    Freundliche Grüße
    Bertram Klingelhöfer

  • Wilfried Steller schrieb am 3. Oktober 2014

    Sehr geehrter Herr Klingelhöfer,

    in der Tat ist der Vorwurf, „die Juden“ seien die „Mörder Jesu“, völlig haltlos. Jesus wurde durch eine Reihe von Menschen jüdischen Glaubens mit durchaus ehrbaren Gründen abgelehnt und verurteilt sowie den römischen Behörden als Aufrührer übergeben. Als Christen und Christinnen werten wir dies als tragischen Irrtum, aber nicht als Mord. Es rechtfertigt in keiner Weise, generalisierend alle Juden und Jüdinnen aller Zeiten mit einer Kollektivschuld zu belasten und schon gar nicht, daraus ein Recht zur Vergeltung abzuleiten.

    Ein geplanter und hinterhältiger Mord war die Hinrichtung Jesu nicht, und auch von einem Justizmord wird man kaum sprechen können. Das Recht, Kapitaldelikte zu ahnden, lag damals bei den römischen Besatzern. Es waren also römische Beamte und Soldaten, welche die Verurteilung und Hinrichtung Jesu ausführten. Gekreuzigt wurde er als Aufrührer gegen den römischen Staat. Dessen Justiz hat dies souverän entschieden; sie war in keiner Weise abhängig gegenüber jüdischen Behörden und sicher auch nicht gewillt, sich von diesen erpressen zu lassen. Jesus war kein römischer Bürger und insofern rechtlich nicht wehrhaft. Selbst wenn er bisher keine direkt antirömischen Aktivitäten entfaltet hatte und insofern „unschuldig“ war, reichte unter den Bedingungen des Besatzungsrechts mit Sicherheit die begründete Möglichkeit eines antirömischen Handelns zur Verurteilung aus.

    Die Initiative zur Auslieferung Jesu an die römische Justiz ging nicht von „den“ Juden aus, sondern von historischen jüdischen Religionsführern und Oberen in Jerusalem, die sehr konkrete Vorstellungen von einem „Messias“ hatten: Er sollte die Römer vertreiben. Im Volk waren zu dieser Zeit ebenfalls kriegerische Erwartungen gegenüber Jesus lebendig. Dieses Bild enttäuschte Jesus mit einem ganz anderen Selbstverständnis und störte durch seine Unberechenbarkeit die unter Besatzungsbedingungen gespannte Ruhe zwischen römischen und jüdischen Machthabern. Seine Verurteilung als Gotteslästerer in einem Gerichtsverfahren vor dem Hohen Rat spiegelt auf tragische Weise, dass er nicht als Messias erkannt werden konnte – übrigens auch nicht von den Römern.

    Mit seiner Auslieferung an die Römer entledigten sich bestimmte Kreise eines Störenfriedes, der in den eigenen Reihen bereits viele Sympathien verspielt hatte, und stabilisierten vermutlich zugleich die Beziehungen zu den römischen Machthabern vor Ort, zu deren Nutzen es war, ein Exempel statuieren und damit die jüdische Bevölkerung zum Stillhalten ermahnen zu können. Jesus wurde ein Opfer vitaler Interessen, wird man sagen können: Sein Tod brachte der jüdischen wie der römischen Obrigkeit einen Gewinn. Dass Jesus ausgerechnet von denen, die er den Hoffnungen nach hätte vertreiben sollen, zu Tode gebracht wurde, mag man als böse Ironie des Schicksals sehen.

    Die biblischen Schriften, die sich mit Jesus Christus beschäftigen, betreiben keine Geschichtsschreibung im modernen Sinn. Sie stammen alle aus der Zeit nach Tod und Auferstehung Christi und wollen frohe Botschaft verkündigen. In den neutestamentlichen Reminiszenzen an die Prozesse Jesu spielen also historische, juristische und politische Aspekte keine tragende Rolle. Hier geht es vielmehr um die theologische Deutung des Todes Jesu, und diese hob darauf ab, Jesus als den unschuldig Leidenden nach dem Vorbild des Leidenden Gerechten (Jesaja 53) zu erfassen. Die Unschuld Jesu, die in den Evangelien von römischen Protagonisten festgestellt wird, ist keine erwiesene Unschuld im juristischen Sinn, sondern die Unschuld vor Gott: Dieser Jesus ist vor Gott ein Gerechter, er entspricht den Maßstäben Gottes! Die Welt dagegen hat andere, falsche Maßstäbe. Nicht umsonst sagt der Hauptmann unter dem Kreuz: „Wahrlich, dieser Mann ist Gottes Sohn gewesen.“ Er sagt das natürlich nicht als realer Augenzeuge, sondern wird unversehens zum Evangelisten, der als Nichtjude eine Wahrheit erfasst, die sich den Augen völlig entzieht, eine Glaubenswahrheit nämlich. Der Hauptmann nimmt mit seinem Votum vorweg, was einst die ganze Welt über Jesus sagen wird – das ist Verkündigung pur, aber kein Wortlautprotokoll.

    Der neutestamentlichen Darstellung der Prozesse Jesu geht es also wesentlich um eine theologische Würdigung Jesu. Sie erzählt Heilsgschichte fernab von jeder moralischen Verurteilung von „Juden“ oder „Römern“, weiß sie doch, dass alles so kommen musste, weil es Gottes heiligem Plan entsprach: Jesus wurde gekreuzigt für die Schuld der Vielen. Die Schuld – sie liegt darin, hinter den eigenen Interessen die Sicht Gottes nicht wahrzunehmen, und da stehen die damaligen jüdischen Oberen stellvertretend für alle Menschen. Die Schuld – sie liegt auch darin, einen „Unschuldigen“ dennoch zu kreuzigen, und dabei stehen die Römer ebenso stellvertretend für alle. Wie absurd es ist, „die Juden“ der Schuld am Tode Jesu zu bezichtigen und deswegen zu verfolgen, wird schon darin deutlich, dass Jesu Tod ja gerade nicht Rache und Vergeltung bewirken wollte, sondern Vergebung; er ist Zeichen der Barmherzigkeit Gottes, der ein Herz hat für Sünder und sie gerechtspricht. Und das steht auch im Evangelium: Am Kreuz betet Jesus für seine Henker.

    Freundliche Grüße
    Wilfried Steller

  • Bertram Klingelhöfer schrieb am 8. Oktober 2014

    Ich kann mich kurz fassen: Jeder glaubt, was er glauben möchte.
    Wer nach 2000 Jahren die Rolle des jüdischen Volkes im Zusammenhang mit der Verurteilung und Hinrichtung Jesu oder den Missionsauftrag (Markus 16) anders interpretiert als es den biblischen Berichten entspricht, muss sich – Gott sei Dank – nicht vor einer Religionspolizei fürchten. Wir stehen alle unter dem Schutz unseres Grundgesetzes!
    Bertram Klingelhöfer
    08.10.2014